Lebendige Ausstellungsgeschichte

Die schönste Veröffentlichung zur Geschichte der Kasseler documenta ist auf dem Markt – eine CD die einen Überblick über alle neun vorangegangenen Ausstellungen gibt.

Wie war das mit der documenta 4 im Unruhe-Sommer 1968? War Joseph Beuys dabei und (wenn ja) was zeigte er? Auf dem Computerschirm ist das Eröffnungsbild mit den Plakatmotiven der documenten 1-9 zu sehen. Klickt man jetzt das Plakat der documenta 4 an, wird ein sogenanntes Portfolio auf den Bildschirm geholt – eine farbige Bilderpalette mit briefmarkengroßen Motiven von wichtigen Werken, die auf der documenta 4 zu sehen waren. Schaut man nur zu, dann werden die einzelnen Werke und Künstlernamen und Titel kurz vorgestellt. Man kann sich aber auch einer Führung (Guided Tour) durch die documenta anschließen.

In diesem Fall wird aber die Beuys-Installation angeklickt. Die wird in mehreren Raumansichten präsentiert. Von da kann man über den Künstler und seine Biographie zu den Beuys-Beiträgen für die anderen documenten gelangen. Und während man sich den „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ (documenta 8) anschaut, ist rechts oben der Grundriß vom Museum Fridericianum zu sehen. Der Grundriß läßt sich vergrößern, und nun kann man etagenweise zu anderen Werken der documenta 8 wandern. Dazwischen lassen sich Abstecher ins Archiv unternehmen, um zu erfahren, wer die documenta 8 künstlerisch verantwortete (Manfred Schneckenburger), wie das Presse-Echo damals aussah und welche Standorte die Ausstellung hatte oder was zu ihr publiziert wurde.

Diese Kurzbeschreibung der vom Kasseler documenta Archiv gemeinsam mit der Würzburger Firma CIS entwickelten CD-Rom zeigt, wie gut verknüpft die verschiedenen Ebenen sind. Hier werden nicht nur Bilder von Werken und Ausstellungsteilen zugänglich gemacht, sondern dadurch, daß immer wieder Bezüge zum Raum und zur Inszenierung hergestellt werden, gewinnt man lebhafte Eindrücke von der jeweiligen Ausstellungsstruktur.

Die CD-Rom ist ein elektronisches Bilderbuch, das sich gleichermaßen an die Experten wie an das breite Kunstpublikum wendet. Nahezu 1000 Werke und Raumbilder sind zu sehen, dazu kommen die kommentierten Ausstellungsrundgänge und Videos mit Statements der künstlerischen Leiter. Für die Experten ist der Künstlerindex ein großer Gewinn. In ihm sind alle 2000 Namen der Künstler zu finden, die auf den documenten 1-9 vertreten waren. Über diesen Index gelangt man zu 370 Porträts, man kann sich aber die Liste auch nach Techniken (Malerei, Plastik…) oder Herkunftsländern aufschlüsseln lassen.

Die CD-Rom bietet sich als das gute und farbige Gedächtnis der documenta an. Sie ist vollgepackt mit mehrschichtigen Informationen. Das hat aber zur Folge, daß man an dem Personal-Computer, an dem man sie sich anschauen kann, gute technische Voraussetzungen braucht. Mit 8 MB Arbeitsspeicher und einem CD- Rom-Laufwerk mit doppelter Geschwindigkeit, erhält man zwar Zugang zu den Bildern. Der Komfort der CD-Rom erschließt sich aber erst, wenn man über 16 MB und ein Laufwerk mit achtfacher Geschwindigkeit verfügt.
documenta 1-9, CD-Rom, documenta Archiv und CIS, Vertrieb Cantz Verlag, Stuttgart, ISBN 3-8932-2934-8, 129 Mark.

HNA 9. 7. 1997

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