100 Tage – 100 Gäste: Michelangelo Pistoletto

Seit mehr als drei Jahrzehnten steht der Italiener Michelangelo Pistoletto (Jahrgang 1933) im Rampenlicht der Kunstszene. Mit seinen frühen Arbeiten verbindet sich der Begriff der „Arte Povera“ – der Kunst, die mit „armen“, also alltäglichen Materialien arbeitet. Aber es hat den Anschein, daß uns die Dimensionen seines Werkes erst allmählich bewußt werden. Einen entscheidenden Beitrag liefern dazu die beiden Räume, die Pistoletto jetzt für die documenta im Kasseler Kulturbahnhof und in der documenta-Halle gestaltet hat.

Pistolettos Werk, so lernt man hier, ist nicht auf seine in vielen Museen gezeigten Spiegelarbeiten zu verkürzen. Wohl spielt der Spiegel als eine Fläche, die den Raum in der Zeit einfängt, auch in der Installation „Ogetto in meno“ (Minus-Objekte) eine zentrale Rolle, doch geht Pistoletto in diesen Arbeiten über das Objekt und die Skulptur hinaus. Im Grunde nutzt er den Kunstraum, um in den Lebens- und Stadtraum hineinzuwirken.

Ahnlich wie Joseph Beuys erweitert Pistoletto den Kunstbegriff – unter der von ihm selbst gesetzten Behauptung „daß die Kunst die sensibelste und umfassendste Ausdrucksform des Denkens“ sei. So arbeitet er seit 1994 an einem „Progetto Arte“, an einem Projekt, das städte- und länderübergreifend ist und in das er alle Künste, die Philosophie und die Architektur einbezieht.

Liest man im „documenta documents 2“ nach, auf welchen Ebenen das „Progetto Arte“ bisher stattgefunden hat, dann fühlt man sich an die documenta und die „100 Tage – 100 Gäste“-Reihe erinnert. Es erscheint wie ein Unternehmen zur Mobilisierung aller kreativen Kräfte und Energien, für das es aber keinen festen Rahmen gibt. Heute abend wird Pistoletto sein „Progetto Arte“ vorstellen.
8. 7. 1997

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