309 000 Besucher in 48 Tagen, 20 000 Zuhörer bei 100 Tage – 100 Gäste und 79 100 verkaufte
Kurzführer. Gestern zog die documenta X eine überwiegend positive Halbzeit-Bilanz.
Die zum Teil heftigen Verrisse der documenta X sind nicht vergessen. Sie würden, so documenta-Pressesprecherin Maribel Königer bei der Halbzeit-Pressekonferenz, in der künstlerischen Leitung sehr wohl diskutiert. Aber jetzt geraten sie erst mal in den Schatten der Erfolgszahlen, die die Statistiken liefern: Mit 309 000 Besuchern in den ersten 48 Tagen (von 100) liegt die von vielen skeptisch beäugte Kunstschau noch vor der Rekord-documenta von 1992, die zur Halbzeit rund 260000 Besucher vermelden konnte.
Aber noch wichtiger als die bloße Gesamtzahl ist das Zwischenergebnis einer repräsentativen Erhebung, das Prof. Gerd-Michael Hellstern (Universität Gesamthochschule Kassel) gestern vortragen konnte: Der überwiegende Teil der 1132 Befragten findet die Ausstellung sehr (10,4 %) gut (34,8%) oder befriedigend (33,2%). So weicht die Durchschnittsnote mit 2,4 nur geringfügig von der ab, die 1992 gegeben wurde (2,25). Entscheidende Abweichungen registrierte Hellstern nur bei den begeisterten Zustimmungen – da gab es vor fünf Jahren mehr – und bei den entschiedenen Ablehnungen – deren Zahl ist in diesem Jahr mit sechs Prozent doppelt so groß.
Daß die documenta X gut läuft, hat allem Anschein nach mehrere Ursachen. Die erste und naheliegendste ist, daß die documenta zur Institution geworden ist: Mehr als die Hälfte der Besucher
hat vorher zumindest schon eine weitere documenta gesehen und rund 72 Prozent können sich vorstellen, auch zur documenta XI nach Kassel zu kommen. Die zweite Ursache ist in dem stetig gestiegenen Medieninteresse zu sehen: Bisher haben sich rund 5700 Journalisten bei der documenta registrieren lassen, und Catherine David hat rund 800 Interviews gegeben.
Die Halbzeit-Pressekonferenz fand übrigens ohne Catherme David statt. Begründet wurde das damit, daß es in erster Linie um Zahlen und Statistiken und nicht Inhalte ginge. Aber natürlich lag der Gedanke nahe, daß man die documenta-Leiterin – nach den schlechten Erfahrungen bei der Eröffnungspressekonferenz – vor sich selbst (und unbedachten Außerungen) schützen wollte.
Die Erhebung der Forschungsgruppe von Prof. Hellstern brachte einige überraschende Ergebnisse zu Tage: Während früher unter den Besuchern die Männer in der Überzahl waren, sind es jetzt die Frauen (52:48). Auch hat sich die Internationalität des Publikums vergrößert: 23,5 Prozent der Besucher (1992: 20,8 %) kommen aus dem Ausland, wobei interessanterweise mehr von anderen Kontinenten (12,6%) als aus dem europäischen Ausland (10,9%) anreisen. Die treueste Ausländergruppe stellen nach wie vor die Niederländer (25,5%).
Offensichtlich hat sich frühzeitig der veränderte Charakter der documenta herumgesprochen: Während 1992 noch 44,2% meinten, sie kämen nach Kassel, um einen Überblick über die Kunst zu erhalten, und nur 24,8% das kulturelle Erlebnis suchten, steht jetzt der Wunsch nach dem kulturellen Erlebnis (37,9%) vor dem Verlangen nach einem Überblick (36,6%). Die documenta ist ein Ereignis,
das vorrangig von einem Fachpublikum besucht wird: 43,6 % sind beruflich interessiert, 74 % gehen jährlich mindestens vier mal in Ausstellungen. Diese Feststellung klärt vielleicht auch, warum der heimische Besucheranteil eher gering ist – nur 13 Prozent kommen aus Kassel und Nordhessen.
Uberraschend groß ist aus der Sicht der documenta-Leitung das Echo auf die Veranstaltungsreihe 100 Tag – 100 Gäste in der documenta-Halle. Bisher kamen rund 20 000 Zuhörer – 402 im Schnitt. Noch größer ist allerdings die Zahl derjenigen, die weltweit per Internet an Diskussionsreihe teilhaben: Da sind es etwa 30 000 pro Abend. Gut ausgelastet sind auch täglichen Vorführungen
documenta-Filme, von denen Mutter und Sohn, Am Ende, Rostov-Luanda Stillleben und Chere Catherine jetzt auch zum Film-Festival Locarno eingeladen wurden.
HNA 9. 8. 1997