Wo, bitte, geht’s zur Malerei?

Die Malerei, oftmals im Zentrum der documenta, ist in dieser Ausstellung zum Randereignis geworden. Sie ist anders vertreten als gewohnt.

In Michelangelo Pistolettos Raum im Kulturbahnhof ist ein runder Behälter zu sehen, auf dessen Grund eine in mehrere Stücke zerbrochene (weiße) Leinwand liegt. Das Signal ist eindeutig: Das Ende der Malerei wird verkündet. Kein Wunder also, daß die Malerei in der documenta X so schmalbrüstig vertreten ist?

Nun darf man aber nicht übersehen, daß die Objekte in Pistolettos Raum rund 30 Jahre alt sind. Da wird also keine neue Entwicklung beschworen, sondern der „Ausstieg aus dem Bild“ wurde bereits in den 60er Jahren vollzogen. Pistolettos „Minus-Objekte“ im Kulturbahnhof sind der beste Beleg dafür; es sind Bild-Elemente, die sich aus der Fläche gelöst und verselbständigt haben.

Ist also die Malerei überhaupt kein Thema mehr? Wenn man den Beitrag des Italieners genauer studiert, wird man sehen, daß die zerrissene Leinwand in die Irre führt. Pistoletto präsentiert nämlich in dem Raum auch gemalte Bilder. Aber sie haben ihre dominierende Kraft verloren.

Hat die künstlerische Leiterin der documenta, Catherine David, diese Arbeit ausgewählt, um mit ihrer Hilfe gegen die Malerei zu argumentieren? Wohl kaum, schließlich geht es in diesem Raum um andere Fragen. Aber es ist gewiß kein Zufall, daß in drei weiteren documenta-Beiträgen prominenter Künstler die Malerei vorgeführt und thematisiert wird – und die klassische Form der Kunst von ihrem Thron gestoßen wird: Richard Hamilton treibt in seinen „Seven Rooms“ ein raffiniertes Bild-im-Bild- Spiel, täuscht Malerei vor und benutzt die Ölfarbe wie zur Retusche; Emilio Prini zitiert nur noch die Malerei, indem er eine rot und eine blau bemalte Holzplatte an die Wand seines Raumes im Ottoneum lehnt; und Mike Kelley und Tony Oursler schwelgen zwar in ihrem Kabinett in der documenta-Halle in Malerei – es ist zugestellt mit kräftig bemalten Leinwänden und Objekten, doch werden sie vorwiegend als Projektionsflächen für Videos benutzt.

Will Catherine David also dokumentieren, daß sich die Malerei verbraucht habe? Richtig ist, daß zwar nach wie vor sehr viel und gut gemalt wird, aber die Impulse für die Entwicklung der Kunst kamen in den letzten Jahren eher aus anderen Gestaltungsformen. Nicht zu vergessen ist auch, daß bereits die beiden vorigen documenten die Malerei in den Hintergrund drückten. Das gilt selbst für Jan Hoets documenta IX, in der rund 50 Künstler mit Arbeiten vertreten waren, die mit Malerei zu tun hatten (in diesem Jahr sind es nur zehn). Die Ausstellung von 1992 vermittelte einfach deshalb ein anderes Bild, weil sich die Skulpturen und Installationen in den Vordergrund drängten. Außerdem hatte sich Hoet auf Bilder konzentriert, in denen sich die Malerei vorwiegend mit sich selbst beschäftigte, und den erzählenden Part absoluten Außenseitern überlassen.

Auch Catherine David stellt die Positionen der Malerei vorwiegend mit Hilfe von Außenseitern vor: Kelley/Oursler sind ebensowenig dem allgemeinen Verständnis nach Maler wie Pistoletto oder Prini. Und Lari Pittman sowie Kerry James Marshall, die mit ihren erzählstarken, kritischen Bildern die Rotunde im Fridericianum besetzen, werden durch diese Platzierung in der documenta
erst hochgepuscht. Tatsache bleibt also, daß die Malerei für die Auseinandersetzung mit dem Bild eine größere Rolle spielt, als die documenta erkennen läßt. Auf diesem Feld enttäuscht die Ausstellung. Andererseits ist es gerade die Malerei, bei der Catherine David sich am stärksten von den Vorgaben des Kunstbetriebes löst. Sie markiert – wenn auch höchst sparsam – die unterschiedlichsten Positionen mit Hilfe von Künstlern, an man sonst nicht denkt, wenn vom Malen gesprochen wird.

Nicht übersehen darf man aber zwei tiefe Verbeugungen vor malerischer Größe: Gerhard Richters „Atlas“ ist nicht nur eine Fotosammlung; in ihm ist die geballte Kraft seiner Gemälde angelegt und zu erkennen. Und auch wenn Helio Oiticica daran arbeitete, der Farbe Körper zu geben, blieben seine Objekte der Malerei verhaftet

HNA 22. 7. 1997

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