100 Tage – 100 Gäste: Sadik Al-Azm

Salman Rushdie und dessen „Satanische Verse“ sind das Thema des heutigen Abends in der documenta-Halle. Darüber sprechen wird der syrische Philosoph Sadik Al-Azm (62), nach eigenem Bekenntnis der erste und einzige in der arabischen Welt, der Verteidigungsschriften für Rushdie geschrieben hat. Dabei ist Al-Azm niemand, der versuchte, Rushdie durch Verharmlosungen gegenüber den fundamentalistischen Angriffen zu entschuldigen. Im Gegenteil: Selbst den westlichen Kritikern wirft er vor, sie würden Rushdie entpolitisieren.

Der aus Damaskus stammende und dort lebende Philosoph ist einer der Denker, die in globalen Zusammenhängen diskutieren. Seine Forschungen zu Kant und Jaspers sind genauso intensiv wie seine Einlassungen zum Zionismus und zum Problem der Palästinenser. Dieses zwangsläufig kritische Vorgehen hat ihm selbst nachhaltige Schwierigkeiten bereitet: Seine 1969 veröffentlichte Kritik des religiösen Denkens rief in der arabischen Welt einen Sturm der Entrüstung hervor.

Der Fundamentalismus ist ein Grundproblem, das ihn herausfordert – egal, welche Kultur und Religion er betrifft. Äußerst kritisch sieht er demnach auch die Entwicklungen in Israel. Ähnlich wie Edward Said, der die Reihe „100 Tage – 100 Gäste“ eröffnete, fürchtet Al-Azm, daß die Palästina-Politik Strukturen der früheren südafrikanischen Apartheid-Politik annehme. Die Chancen, den Frieden zu gewinnen, seien sehr gering geworden.

Seine Aufsätze und Bücher schreibt Al-Azm mal in arabischer, mal in englischer Sprache — je nachdem, welchen Kreis er vornehmlich ansprechen will. Dabei ist es für ihn selbstverständlich, zu tagesaktuellen Streitfragen Stellung zu beziehen. Zu Deutschland hat er eine besondere Beziehung – nicht nur, weil er über Kant gearbeitet hat. Hier war er verschiedentlich zu Gastvorträgen, auch hat er mehrfach Aufsätze für deutsche Zeitschriften verfaßt — wie etwa in dem Streit um die Islam-Forscherin Annemarie Schimmel.

HNA 10. 9. 1997

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