Eine Frau ging ihren Weg: Catherine David ließ sich als Leiterin der documenta X durch die Kritik nicht beirren. Ob sie aber Kunstgeschichte schrieb, ist noch nicht erwiesen.
Unabhängig von der jeweiligen Leistung eines künstlerischen Leiters hat die documenta als Ausstellungs-Institution ihre eigene Geschichte und besonderen Maßstäbe. Aus dem Blickwinkel dieser Geschichte war der 19. Juni 1997 ein Tag des Triumphes. Zur Vorbesichtigung der zehnten documenta waren über 2000 Journalisten nach Kassel gekommen, die Stadthalle platzte bei der Eröffnungspressekonferenz aus allen Nähten. Damit hatte sich das Ausstellungsprojekt documenta auch 42 Jahre nach dem ersten Start als tragfähig, international attraktiv und höchst lebendig erwiesen.
Die documenta lebt, von ihr erwartet man besondere Antworten. So lautete am Abend des 28. September die stolze Bilanz, als die Ausstellung ihre Tore schloß und mit 631 000 Besuchern eine
neue Höchstzahl erreicht war.
Der 19. Juni war aber zugleich der schwärzeste Tag für die Öffentlichkeitsarbeit der documenta X und das Image von Catherine David. Solche Mammutpressekonferenzen sind inhaltlich selten sinnvoll und ergiebig. Im Grunde geht es bei diesen Gelegenheiten – wie in der Politik – nur um
Taktik, um das geschickte VerkaufeN von Botschaften. Aber genau darin versagte die documenta-Leiterin. Sie entzog sich nicht nur Fragen, sondern qualifizierte Kritiker ab. So wurden alle, die sie schon immer für arrogant und die falsche Wahl gehalten hatten, in ihren Ansichten bestärkt, und selbst die Gutwilligen mußten einräumen, daß man so mit der Presse und Öffentlichkeit nicht umgehen dürfe. Keine gute Voraussetzung für einen sich daran anschließenden Rundgang durch eine Ausstellung, die sowieso als schwierig galt.
Trotzdem: Auch in dem Eklat blieb Catherine David konsequent und sich treu. Sie sei keine Politikerin, die sich um eine Wiederwahl bemühen müsse, also könne sie die Position vertreten, die sie für richtig halte, hatte sie in einem Gespräch mit unserer Zeitung betont. In der Tat: So konsequent wie die erste Frau an der documenta-Spitze war bisher keine Ausstellungsleitung in Kassel gewesen. Möglich wurde diese Geradlinigkeit vor allem deshalb, weil sie das Konzept allein verantwortete. Andere documenta-Leiter hatten immer wieder im Streit mit ihren Team-Kuratoren Kompromisse machen müssen.
In zwei Hinsichten unterschied sich die documenta radikal von den Vorgänger-Ausstellungen: Sie verabschiedete sich von dem spektakulären Kunstbetrieb, der aktuelle Markttendenzen bestätigt, und sie lenkte den Blick auf die aufklärerischen Seiten der Kunst; und sie ergänzte die Ausstellung durch Beiträge anderen Ebenen.
Vor allem das, was sich Abend für Abend innerhalb der Reihe 100 Tage – 100 Gäste in der Kasseler documenta-Halle ereignete, war von unschätzbarem Wert. Die Vorträge und Präsentationen von Künstlern, Wissenschaftlern, Literaten und Politikern schufen in der zum Medien- und Kommunikationszentrum umgestalteten Halle eine vitale und befruchtende Atmosphäre. In dieser Reihe wurde endgültig die Kunstdiskussion aus dem Elfenbeinturm befreit.
Catherine David hatte einen Hindernislauf zu bestehen. Für einige der Hindernisse hatte sie selbst gesorgt. Aber sie erreichte – allen Unkenrufen zu Trotz – erfolgreich das Ziel. Und wenn man aus der Distanz die deutschsprachigen Pressestimmen betrachtet, war das Echo weit differenzierter, als viele David-Gegner wahrhaben wollten, Das Entscheidende ist, daß die Einladung zur inhaltlichen Auseinandersetzung angenommen worden ist.
Nicht abzusehen hingegen ist im Augenblick, ob Catherine Davids Versuch, die Regeln des Ausstellungsbetriebes zu unterlaufen, Folgen haben wird. Gewiß werden von ihr (wieder)entdeckte Künstler und Werke verstärkt in anderen Ausstellungen auftauchen. Doch nachhaltig wirkt die documenta nur dann, wenn auch andere die Hauptwege des Marktes verlassen.
Von der „Nonne im Bordell“ bis zur „Domina“
Nur selten zuvor war die documenta-Berichterstattung derart personalisiert wie in diesem Jahr. Die Kritiker mühten sich, immer neue Attribute für die Französin zu finden. Hier einige Kostproben aus der Schatztruhe der Feuilleton-Phantasien:
…als sei eine Nonne im Bordell gelandet (Süddeutsche Zeitung).
Madame Eigensinn, die Puristin, .. .die Ehrgeizige, ..die Kluge, .. die Einsame, …die Kühle, . .die Beharrliche, …die Schwierige (Sonntagsblatt).
Sie sieht aus wie Schneewittchen – 20 Jahre nach der Sache mit den sieben Zwergen. Die schöne documenta-Chefin war gestern das Objekt der Begierde für Fotografen… (Westfälische Rundschau).
Madame David, die kühle Schwarzhaarige aus dem Paris der Kunstliebhaber,.. (Hannoversche Allgemeine Zeitung).
die strenge Zuchtmeisterin David… einer Missionarin gleich… (Der Tagesspiegel).
Catherine David, in ihrer schimmernden intellektuellen Rüstung eine Jeanne dArc im Schlachtgetümmel.. (Rheinischer Merkur).
Der weibliche Impresario… (Berliner Zeitung).
Man könnte die Französin Catherine David als späte Enkelin von Denis Diderot bezeichnen… (,Madam).
…nach der belgischen Quasselstrippe nun die französische Sphinx von Kassel Die Pythia hatte sich lange und beharrlich … ausgeschwiegen. (Stuttgarter Zeitung).
Sie hat sich gebärdet wie die sprichwörtliche Gouvernante (Mitteldeutsche Zeitung).
Asketisch wie eine Nonne und standhaft wie eine Jeanne dArc. . (Saarbrücker Zeitung).
und sphingisch blieb die Directrice bis zum Schluß… (Basler Zeitung).
…eine Donna Quichotte im Kampf gegen die Turbinen der
Spektakelkultur… (,Die Messe).
Hochkommissarin fürs ethisch Reine… Denkerin auf – dem documenta-Thron… (Badische
Zeitung).
Diese Domina von jenem Stern, wo kein Sonnenstrahl den Körper zur Sinnenlust verleitet, ist unter die Kritikerzunft gefahren wie einst Aguirre, der Zorn Gottes, unter die verzagten Eroberer
Lateinamerikas. (Glosse in der Süddeutschen Zeitung).