Das Herz läuft über

Die Frage, ob denn documenta-Leiterin Catherine David mit ihrer Aufgabe fertig werde, stellen mittlerweile nur noch diejenigen, die der französischen Ausstellungsmacherin überhaupt nichts zutrauen. Ansonsten hat sich herumgesprochen, daß das Team von Catherine David professionell arbeitet und daß die Vorbereitungen gute Fortschritte machen, auch wenn die künstlerische Leiterin sich kaum in die Karten schauen läßt.

Jan Hoet bombardierte im Vorfeld seiner documenta die Interessierten mit Dias und Namen. Jeder, der am Planungsprozß teilhaben wollte, sollte in das Chaos der Bilder eintauchen, um hinterher umso besser seine Auswahl verstehen zu können. Catherine David hingegen lädt immer wieder zum Nachdenken über das Leben und die Kunst, zum Philosophieren und Diskutieren ein, um das Feld für ihre Ausstellung zu bereiten. Und das Neue ihrer documenta wird sein, daß nur derjenige die Dimensionen der Kunstschau wirklich ermessen wird, der sich um die Teilnahme an dem Diskussionsprozeß bemüht.

Nicht nur die Vorbereitungsphase, auch die Ausstellung selbst wird eine Menge von den Besuchern abfordern. Auch wenn sie sinnliche Kurzweil bergen wird, taugt sie nicht zur schnellen Unterhaltung. Trotzdem braucht sie zur Abdeckung ihres Etats und zum Nachweis ihres Erfolgs Besucherströme, die nicht die intensive Auseinandersetzung zulassen.

Mit diesem Widerspruch muß nicht nur die documenta-Leitung, sondern auch die erwartungsvolle Öffentlichkeit fertig werden. Der läuft nämlich in Erinnerung an die vorige documenta das Herz über: Was für aufregende Zeiten und Geschäfte sind da doch möglich! Also melden sich unentwegt Helfer, die der documenta zum Zwecke der besseren Vermarktung unter die Arme greifen wollen.

Nur ihr wirklich helfen können sie nicht. Das Konzept dürfen sie mit ihren Strategien nicht stören und außerhalb Kassels kann sich die documenta nur im Sinne der Kunst verkaufen. Diejenigen, die das Wohl der Stadt, der Bürger und der Geschäftsleute vor Augen haben, können der documenta nur beistehen, indem sie auf Distanz zu ihr bleiben und lediglich sich darum kümmern, den Besuchern eine möglichst gute Atmosphäre, ein ungestörtes Kunsterlebnis und Service dort anzubieten, wo er gewünscht ist.

HNA 22. 6. 1996

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