Die Funktion des Bildes

Mit ihrem zweiten Arbeitspapier (,‚documenta-documents 2“) hat Catherine David einen Einblick in ihr Konzept ermöglicht. Sie untersucht die Funktion des Bildes zwischen Kunst und Medien.

Die Frage, nach welchen Kriterien denn documenta-Leiterin Catherine David ihr Konzept für die nächste große Kasseler Kunstschau entwickele und die teilnehmenden Künstler aussuche, kann jetzt ansatzweise beantwortet werden. In ihrer zweiten Ausgabe der „documenta-documents“, die sie gestern im Kasseler Museum Fridericianum vorstellte, wird deutlich, was sie meint, wenn sie sagt, sie wolle keine Aktualitätenschau der Kunst: Sie strebt eine grundsätzliche Untersuchung des Bildes und seiner Funktion in der heutigen Zeit an, um dann in der documenta X (1997) sichtbar werden zu lassen, welche unterschiedlichen Strategien die Künstler in unserer Zeit dazu entwickelt haben.

Unter diesen Voraussetzungen macht die konsequente Einbeziehung von Fotografie, Film und anderen neuen Bildmedien Sinn – weil auf der einen Seite somit Abgrenzungen möglich sind, auf der anderen Seite aber gezeigt werden kann, wie sie von den Künstlern genutzt werden. In ihrem gemeinsam mit Jean-Francois Chevrier erarbeiteten Text (,‚Die Aktualität des Bildes, zwischen den Schönen Künsten und den Medien“) vertritt Catherme David unter anderem die Meinung, daß die Beständigkeit des Tafelbildes zeige, wie sich neue Medien eine alte Kunstform zunutze gemacht hätten.

Auf der Grundlage dieser theoretischen Überlegungen wird nachvollziehbar, warum Catherine David auch die Werke älterer, nicht mehr lebender Künstler (Marcel Broodthaers, Palermo) berücksichtigen will. Sie will aufzeigen, wie sich die Bildformen und -inhalte bis zur Gegenwart entwickelt haben. Sollte es der documenta X gelingen, in dieser Weise den Stand der Bildwelten von heute zu untersuchen und in einem umfassenden Zusammenhang sinnlich erfahrbar zu machen, wird sie das leisten, was die documenta 5 (1972) von Harald Szeemann vorhatte, dann aber nur abteilungsweise aufarbeiten konnte.

Die „ documenta-documents 2“ enthalten zahlreiche Essays, poetische Beiträge und Fotos. Indirekt stellt das Heft auch einige zur documenta eingeladene Künstler vor – Jeff Wall zum Beispiel, dessen Fotos in Gemäldeform derzeit in Wolfsburg zu sehen sind, die Filmregisseure Alexander Sukorov und Jon Jost, den ostdeutschen Künstler Olaf Nicolai und den italienischen Klassiker der Moderne, Michelangelo Pistoletto.
Ganz nebenbei offenbart das Heft auch den – neben Sony und Deutscher Bahn – dritten Großsponsor der documenta: die Sparkassen-Finanzgruppe.
„documenta-documents 2, Cantz Verlag, Stuttgart, 104 S., 18 Mark.

HNA 25. 6. 1996

Schreibe einen Kommentar