Dem Künstler über die Schulter schauen

Zur Ausstellung Friedrich Meckseper in der Galerie Puri

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

erst vor wenigen Tagen habe ich bei der Vorbereitung für diese Ausstellung Friedrich Meckseper am Telefon kennengelernt, und heute sind wir uns erstmals begegnet. Doch vom Gefühl ist diese Begegnung für mich wie ein Treffen mit einem alten Bekannten, den ich schon dutzende Male getroffen habe. Denn die Bilder von Friedrich Meckseper sind mir seit Ende der 60er-Jahre bestens vertraut. Immer wieder habe ich einzelne Werke in Ausstellungen oder als Reproduktionen in Zeitschriften und Katalogen gesehen. Die Kompositionen haben sich mir in ihrer besonderen Eigenart unauslöschlich eingeprägt
– Stillleben, die kunstvoll arrangiert sind und in denen es nichts Zufälliges gibt;
– Bilder, die mit äußerster Präzision und Perfektion ausgeführt sind;
– Radierungen, die nahezu immer den malerischen Impuls in sich tragen
– und Farbpaletten, in denen Schwarz, Braun und Gelb den Ton angeben ergänzt zuweilen durch Weiß, Rot und zartes Blau.

Im Kunstbetrieb gehört Friedrich Meckseper wie andere Maler und Grafiker, die in ihrem Werk eine eigene magische Wirklichkeit geschaffen haben, zu den Außenseitern. Der aus Bremen stammende und in Berlin lebende Künstler, der etliche Jahre im Künstlerdorf Worpswede wohnte und arbeitete, hat sich weder von den Aufgeregtheiten des Marktes noch von Moden beeindrucken lassen. Geradlinig ist er seinen Weg gegangen, was ihm dadurch erleichtert wurde, dass er seit langer Zeit einen festen Kreis von Liebhabern seiner Kunst um sich hat. Und weil Mecksepers Bilder so sehr begehrt sind, muss sich diese Ausstellung auf das grafische Werk, auf Radierungen, konzentrieren.

Die druckgrafischen Techniken wie Holzschnitt, Kupferstich, Radierung oder Lithographie dienen in erster Linie der Vervielfältigung von Kompositionen. Aber seit Albrecht Dürer haben Künstler immer wieder Bildideen direkt auf der Holzplatte oder der Kupferplatte entwickelt und auf diese Weise neue Ausdrucksmöglichkeiten erkundet. Friedrich Mecksepers Radierungen werden zwar auch in Auflage hergestellt, werden also vervielfältigt, doch setzt er in seinen Farbradierungen keine gemalten, also schon fertigen Kompositionen um, sondern holt die Bilder mit den Mitteln der verschiedenen Radiertechniken aus den Kupferplatten heraus.

Ich kenne keinen zweiten Grafiker neben Meckseper, der derart intensiv mit den unterschiedlichen Gestaltungsmitteln spielt. Glücklicherweise brauche ich Sie nicht mit der Benennung und Beschreibung der einzelnen Techniken, die Meckseper in seinen Radierungen einsetzt, zu langweilen. Der Künstler kommt uns in der Beziehung entgegen, indem er sich über die Schulter schauen lässt. Das eine Blatt, das 1984 entstand, versammelt das „Radierwerkzeug“, mit dem Meckseper arbeitet. Die feinen Instrumente, mit denen Punkte und Linien gesetzt werden und die Formen und Flächen entstehen lassen, formieren sich selbst zum streng geordneten Stillleben. Auf dem vergleichsweise hellen, diffusen Untergrund schließen sich die Arbeitsgeräte zu einem festen dunklen Block zusammen, dessen Schatten eine noch intensivere Dunkelheit schafft. Auf dieser Basis spielt Meckseper seine Meisterschaft aus, indem er mit Weiß- und Lichttönen Akzente setzt und Spannungen aufbaut. Die Farbigkeit ist so reduziert, dass man erstaunt registriert, dass die Radierung mit drei Platten und vier Farben gedruckt ist.

Sieben Jahre früher schuf Meckseper eine der wenigen Radierungen, in denen das Stillleben durch eine menschliche und dazu noch bewegte Gestalt aufgebrochen worden ist. „Selbst – die Last der Radierung tragend“ lautet selbstironisch der Titel. Der Künstler erinnert in der Haltung, in der er auf seinen Schultern eine riesige Last tragen muss, an den legendären Atlas, der die Welt auf den Schultern hat. Hier allerdings reduziert sich die Welt auf ein turmartiges Gebilde, das anscheinend den Künstler drückt. In Wahrheit ist es ihm eine Lust, im Auftürmen der verschiedenen Formen dem Betrachter die einzelnen Techniken in ihrer Ausdrucksweise vorzuführen. Das Blatt birgt eine Schule des Sehens, versteht sich als eine kleine Einführung in die Radiertechnik. Während sich sonst die verschiedenen Techniken überlagern und sich damit für den Laien die Grenzen verwischen, hat Friedrich Meckseper in dieser Radierung die von ihm benutzten Verfahren untereinander abgegrenzt und aufeinander getürmt. Die links daneben gesetzten Bezeichnungen der Techniken helfen uns, die Wirkungsweisen zu verstehen – von unten nach oben: Vernis mou, Kaltnadel, Mezzotinto, Aquatinta, Strichätzung, Roulette und Sandpapier.

Viele Werke von Meckseper tragen in sich einen melancholischen Grundton. Sie scheinen von einer Welt zu erzählen, die aus der Zeit gefallen ist, in der die Dinge erstarrt und vom Menschen verlassen sind. Deshalb ragt das Blatt „Selbst – die Last der Radierung tragend“ mit ihrer kraftvollen, bewegten Figur so stark heraus. Dieses Blatt legt aber auch die Spur zu Mecksepers stillem Humor, der in etlichen Arbeiten zu entdecken ist. Am stärksten gilt das für die Idee der kleinen Taschenausstellung mit den Radierungen, die gerade 6 x 7,5 Zentimeter groß sind und darin für das „Selbstporträt“, das an Stelle eines Gesichts eine Nase und einen kunstvoll geschwungenen Schnurrbart zeigt. Aber von stiller Heiterkeit ist auch, wenn aus einem brunnenartigen Gebilde eine Leiter herauslugt, die die Illusion nährt, man könne mit ihrer Hilfe den darüber schwebenden Mond erreichen.

Friedrich Meckseper ist ein bedachter, ein sorgsamer und stiller Künstler, ein Meister der Malerei, Zeichenkunst und Grafik und ein Perfektionist dazu. Er braucht einen festen Tagesrhythmus und Zeit dafür. Gemälde wachsen in zwei, drei Monaten heran, Farbradierungen manchmal in vier bis sechs Wochen. Hatte er früher schon mal spontan auf der Leinwand oder Druckplatte eine Bildidee entwickelt, ist er in den letzten Jahren dazu übergegangen, sich vorher in einer Zeichnung Klarheit über seine Komposition zu verschaffen. Dann bei der Übertragung in die andere Technik wird allerdings um das Format und die Proportionen gerungen und das Spiel mit der Farbe voran getrieben.

Glücklicherweise gibt es in dieser Ausstellung, die Herr Löber in vielen Jahren zusammengetragen hat, zu einer Radierung von 2004 auch eine Vorzeichnung aus dem Jahre 2003: „Isolator mit Schnecke“. Die Gegenüberstellung lädt zum direkten Vergleich ein. Man sieht sehr schnell, dass die Grundidee fast unverändert von der Zeichnung in die Radierung übertragen worden ist. Und doch erleben wir zwei Bildwelten. Die Zeichnung und die in ihr gestalteten Objekte wirken so, als seien sie aus alter Zeit überliefert, von den Witterungseinflüssen gezeichnet und mühsam durch die Erinnerung geborgen. In der Radierung hingegen gewinnen die dargestellten Objekte plastische Klarheit und Schärfe. Das von links vorne einfallende Licht verstärkt die räumliche Wirkung, für die vor allem der pechschwarze Hintergrund sorgt.

Wenn man über Friedrich Meckseper spricht, kommt man nicht daran vorbei, auf seine Biographie zu verweisen. Denn bevor er Kunst in Stuttgart und Berlin studierte, absolvierte er eine Mechanikerlehre bei Bosch und hatte er das Ziel, Lokomotivkonstrukteur zu werden. Die Liebe zur Technik begleitete ihn auch als Künstler. Er sammelte nicht nur Kuriositäten, sondern auch Modelleisenbahnen, er konstruierte ein Dampfboot, erwarb sogar eine Schmalspur-Lokomotive von Henschel und überquerte mehrfach im Gasballon die Alpen.

Meckseper ist, zum Glück, kein Konstrukteur geworden. Doch spürt man aus nahezu jedem seiner Bilder seine Liebe zu fest gefügten künstlichen Ordnungen, seine Freude an den Dingen, mit denen man Zeit und Entfernungen misst. Er schafft die Welt nach seinem Bilde. In der Wirklichkeit, aus der er auch die Motive für seine stilisierten Landschaften und Stillleben entnimmt, stellt er eine eigene Wirklichkeit her. Nichts ist gefunden, alles wird transformiert. Die Wolke ist genauso erstarrt und stilisiert wie der Regen, der in langen Streifen aus ihr niedergeht.

Der Künstler liebt es, mit seinen Objekten, die er in seinen Bildern darstellt, zu spielen. In immer neuen Konstellationen bringt er die Häuser und Bücher, die Uhrgehäuse und Tische, die Steine und Schnecken, die Labyrinthe sowie roten und goldenen Kugeln zu einander – meist dicht gedrängt und stark verdichtet. Nicht nur die Totenschädel gemahnen an die Vergänglichkeit, auch die Uhren-Torsi und die ausgeschnittenen Ziffernblätter, die zu Fahnen geworden sind.

Friedrich Meckseper lässt eine magische Welt entstehen, in der die Dinge so dicht und greifbar werden, faszinierend wie Traumbilder und doch fremd. Denn die Zeit ist aus den Fugen geraten oder zum Stillstand gebracht. Und gerade dadurch, dass diese künstliche Welt wie eingefroren wirkt, entfaltet sie magnetische Wirkung.

„… meine besondere Zuneigung gilt den Gegenständen, die Spuren menschlicher Bearbeitung tragen. Also nicht dem Findling, sondern dem Grenzstein…“ sagte Friedrich Meckseper in einem Gespräch mit D.E. Sattler. Nun, es gibt schon Findlings-Motive in den Radierungen. Doch bemerkenswert ist, dass man nur ganz selten natürlichen Landschaften oder urwüchsigen Naturelementen begegnet.

Der Künstler spielt nicht bloß mit den Formen, die er in seine Kompositionen einbezieht, sondern er spielt auch mit den Möglichkeiten des Bildes. Am deutlichsten wird das in der hier gezeigten Farbradierung „Caspar David Friedrich“. Diesem farbigen Blatt ging eine Schwarz-Weiß-Radierung voraus, die sich an das berühmte Gemälde von Georg Friedrich Kersting anlehnt, in dem Caspar David Friedrich in seinem Atelier dargestellt ist. In seinem „Atelier“-Bild hat Meckseper die Grundelemente der Komposition von Kersting übernommen – mit zwei Ausnahmen: C.D. Friedrich ist nicht zu sehen, und die Leinwand an der Friedrich arbeitet, ist weiß. Weiß ist auch die Leinwand in der Farbradierung. Lediglich der Schatten des an die Leinwand gelehnten, überlangen Malstabes bildet sich oben ab.

Diese glatte weiße Fläche, die rund 40 Prozent des Bildes überdeckt, ist das dominanteste Element in dieser Radierung. Das heißt: Dort, wohin unser Blick gelenkt wird, sehen wir nichts. Bedeutet das: Caspar David Friedrich hat uns nichts mehr zu sagen? Oder ist eher gemeint, dass die Zeit der Naturüberwältigung für den Künstler Friedrich Meckseper vorbei ist, weil er das Künstliche dem Natürlichen vorzieht. Das Bild fordert geradezu solche Spekulationen heraus. Dabei gibt es in dieser Radierung ein Bild zu sehen, denn vor der Leinwand, die auf der Staffelei steht, ist ein Stillleben arrangiert – mit einer goldenen Kugel aus Mecksepers Formenvorrat.

Um 1970 begann Friedrich Meckseper in seinen Radierungen ein anderes Spiel mit der Bildsprache. Er verstärkte die plastische Wirkung dadurch, dass er das zentrale Motiv aus der Druckplatte herausschnitt und ohne den Umraum druckte. Normalerweise sind die Stillleben in imaginären Räumen oder Landschaften zu sehen – mit Vorder- und Hintergrund sowie einer Horizontlinie. Durch das Herausschneiden fällt der räumliche Zusammenhang weg, und das freigestellte Motiv gewinnt Reliefcharakter. Sie finden hier eine Reihe von Beispielen für diese Kompositionsweise – etwa „12 km“, „Patricks Haus“ oder „Kleine Bibliothek“.

Die Arbeiten, die Sie in der Ausstellung finden stammen aus der Zeit von 1967 bis heute und sind weit gehend chronologisch geordnet. Mehrere Mappenwerke befinden sich darunter – wie die „Taschenausstellung“, „Nature morte“, „hommage aux prix nobel“ und „Die vier Elemente“.

7. 3. 2010

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