Oberbürgermeister Lewandowski ließ sich von Catherine David auf der Route führen, entlang der die documenta- Besucher 1997 Kassel erleben werden. Einbezogen wird auch die Brüderkirche.
Die aus Paris kommende documenta-Leiterin Catherine David läßt keine Gelegenheit aus, um sich und ihr Ausstellungskonzept für 1997 gegenüber der vorigen, von Jan Hoet verantworteten documenta abzugrenzen. Gleichwohl gibt es bei der Entwicklung der Ausstellungsidee zwischen beiden immer wieder Berührungspunkte.
Einer der gemeinsamen Punkte ist der Bezug zum Stadterlebnis. Für Jan Hoet waren der Friedrichsplatz und das AOK-Gebäude die Angelpunkte, von denen aus er seine Ausstellung erschloß. Catherine David hingegen wählte die vom Hauptbahnhof zur Fulda führende Achse als Erlebnisraum. Auf dieser Achse führten gestern Catherine David und ihre Mitarbeiter Georg Lewandowski, um dem Oberbürgermeister zu zeigen, wie weiträumig die für den nächsten Sommer geplante documenta angelegt werden soll. Der Spaziergang begann am Hauptbahnhof, in dem die documenta die rückwärtigen, leerstehenden Räume für Ausstellungszwecke und Installationen nutzen will. Der Weg führte dann durch die Unterführung, in der ebenfalls documenta-Beiträge zu sehen sein sollen, über die Treppenstraße zum Museum Fridericianum, dem Hauptstandort der documenta.
Im documenta-Team wird derzeit diskutiert, ob auch das hinter dem Fridericianum liegende Dock 4 (frühere Gerhart Hauptmann-Schule) wie bei der vorigen documenta einbezogen wird. Die nächsten Stationen sind das Ottoneum, die documenta-Halle, die Orangerie sowie das Fulda-Ufer. Dort soll die documenta-Achse enden. Gestern wurde bestätigt, daß auch die Alte Brüderkirche genutzt werden soll – allerdings nicht vornehmlich als kompakter Ausstellungsraum, sondern als ein stilles Aktionszentrum, in dem Begegnungen und Lesungen stattfinden können, aber auch einzelne künstlerische Arbeiten gezeigt werden.
Die Frage nach dem Konzept und der Künstlerliste hält Catherine David für müßig, zumal sie längst an der Umsetzung des Konzeptes arbeitet: Derzeit hält sich die documenta-Leiterin mindestens eine Woche pro Monat in Kassel auf. In dieser Zeit regelt sie nicht nur Geschäftliches, sondern nutzt die Aufenthalte auch für Treffs mit Künstlern, die sie zur documenta X einladen will. Mit ihnen geht sie regelmäßig die gleiche Strecke ab, die sie gestern auch dem Oberbürgermeister vorführte – um zu erfahren, wo sie am ehesten ihre Arbeit realisieren könnten.
Das heißt: Die nächste documenta entsteht im engen Dialog mit der Innenstadt, Die Besucher
werden die Stadt in neuen Dimensionen erleben. Auch ist damit zu rechnen, daß außerhalb der genannten Gebäube noch Pavillons und Container für künstlerische Projekte aufgestellt werden. Obwohl sich Catherine David stets entschieden gegenüber dem Zirkus der vorigen documenta abgrenzt, ist gewiß, daß auch die nächste große Kasseler Kunstschau Räume sinnlich erschließen und insgesamt opulent wird.
Stillschweigende Voraussetzung für das Funktionieren der Achse Hauptbahnhof – Fulda-Ufer allerdings ist, daß es eine gute und beständige Verbindung zwischen Bahnhof Wilhelmshöhe und Hauptbahnhof gibt.
HNA 23. 2. 1996