Zum zehnten Mal lockt im Sommer 1997 Kassel mit der Weltschau documenta die Kunstwelt an. Genau in einem Jahr geht es los. Wir stellen hier die wichtigsten Ausstellungs-Orte vor.
Die documenta, 1955 als kulturelles Begleitprogramm zur Bundesgartenschau auf den Weg gebracht, ist zur Institution geworden – mit einem ständigen Büro und einem hauptamtlichen Geschäftsführer (Bernd Leifeld). Trotzdem beginnt jede documenta am Punkt Null. Zwei Gründe gibt es dafür:
Während die frühen documenten mit ihrer Aufgabe, die jüngere Kunstgeschichte aufzuarbeiten, relativ einzig waren, gibt es heute weltweit zahllose solcher Unternehmungen. Außerdem hat sich das Selbstverständnis nach dem Ende der Moderne geändert. Zum anderen gibt es seit der documenta von 1972 von Ausstellung zu Ausstellung einen grundlegenden Wechsel in der künstlerischen Leitung. Mit der Französin Catherine David steht nun (erstmals) eine Frau an der Spitze, die so umfassend wie nie zuvor die künstlerischen Positionen zur Diskussion stellen will.
Der Parcours
Am 21. Juni 1997 beginnt für 100 Tage die documenta X. Noch hüllt sich zum Ärger vie1er Zeitgenossen Catherine David in Schweigen, doch wie die Besucher die Kunstschau erleben werden, dafür gibt es schon eine klar umrissene Vision.
Die auswärtigen Besucher, so sieht es die Dramaturgie vor, werden mit dem Zug möglicherweise in Kassel-Wilhelmshöhe ankommen. Da die Deutsche Bahn einer der Hauptsponsoren ist, wird bereits in den ICE- Zügen per Ansage auf die documenta hingewiesen. Auf dem Wilhelmshöher Bahnhof soll es einen documenta-Bahnsteig geben, an dem spezielle Verbindungszüge (documenta-Shuttle) zum Hauptbahnhof starten. Diese Direktverbindung macht Sinn: Erstmals ist der alte Hauptbahnhof Standort der documenta und Ausgangspunkt des Ausstellungs-Parcours, der über die Treppenstraße bis zur Fulda führt.
Ursprungsort und Hauptstandort der documenta ist das Museum Fridericianum am Friedrichsplatz. Jede der bislang neun Ausstellungen hat sich daneben aber auch andere Orte gesucht. Die unmittelbare Verbindung von documenta und Stadtraum hatte schon Arnold Bode im Sinn gehabt. Aber erstmals war es die 1977 von Manfred Schneckenburger organisierte Kunstschau, die zum weitläufigen Spaziergang einlud: Große Außenskulpturen lockten in die Aue.
Das erste funktionierende, auf die Innenstadt bezogene Konzept entwickelte Jan Hoet für die documenta IX. Er entdeckte für sich als Angelpunkt das Treppenhaus des AOK-Gebäudes am Friedrichsplatz, um das herum er die einzelnen Orte gruppierte.
Während sich 1992 die Ausstellungsbesucher in einem gedachten Kreis von Haus zu Haus bewegten, wird im kommenden Jahr ein langgestreckter Parcours zu erleben sein. Auch Catherine David wird also die Stadt neu erschließen. Die Achse vom Hauptbahnhof zum Fuldaufer, die früher schon viele Besucher abgeschritten sind, wird nun zur Perlenschnur, an der die Ausstellungsplätze aufgereiht sind.
Bislang ist kaum damit zu rechnen, daß es im Außen- bereich auch Großskulpturen und Objekte geben wird. Das Innere des Friedrichsplatzes wird also frei bleiben. Doch wer den Parcours abgeschritten hat, wird noch nicht die ganze documenta erlebt haben: Catherine David will die Kunstschau zu einem lebendigen Forum machen, auf dem Filme und Theater geboten werden und Philosophen und Autoren mit Künstlern über die Kunst und ihr Umfeld diskutieren.
Die Orte
Auf dieser Seite stellen wir die wichtigsten Ausstellungsorte vor:
Museum Fridericianum: Das 1779 als erster öffentlicher Museumsbau auf dem Kontinent errichtete Gebäude ist der älteste und 1997 wieder der zentrale documenta-Standort. Ausstellungsfläche: 3585 Quadratmeter auf drei Etagen.
Kulturbahnhof: Der Hauptbahnhof ist Deutschlands erster Kulturbahnhof. Hier beginnt erstmals der documenta-Parcours. In einem rückwärtigen Gebäude wird die documenta 1550 Quadratmeter auf zwei Etagen nutzen. Außerdem läuft im Bali-Kino ein Teil des Filmprogramms.
Die Tunnel vom Bahnhof zur Treppenstraße sowie die Treppenstraße selbst werden documenta-Beiträge aufnehmen.
Ottoneum: Das als Naturkundemuseum genutzte Bauwerk, zwischen Fridericiaum und Staatstheater, wird der documenta im 1. und 2. Stock (1230 Quadratmeter) Raum bieten.
documenta-Halle: 1992 eigens für die große Kasseler Kunstschau gebaut, bietet in der Seitenlichthalle, der großen Halle sowie in den vier Kabinetten 1385 Quadratmeter.
Orangerie: In der seit 1992 als Technikmuseum genutzten Orangerie stehen 300 Quadratmeter zur Verfügung.
Der documenta-Spaziergang endet am Fuldaufer. Ob die etwas abseits von der Achse gelegene Alte Brüderkirche (380 Quadratmeter) einbezogen wird, ist noch nicht ganz sicher.
HNA 21. 6. 1996