David: Die Ausstellung steht

92 Prozent der rund 120 Künstler für die documenta X sind ausgewählt. Auch die Räume sind verteilt. Das erklärte gestern das documenta-Team nach einem Gang über den Parcours.

Zwar ist die Künstlerliste der documenta X (21. Juni bis 28. September 1997) für die Öffentlichkeit immer noch tabu, doch ist sie weitgehend abgeschlossen. Nur bei der Auswahl der ganz jungen Künstler will sich documenta-Leiterin Catherine David noch einige Monate Zeit lassen, um sicher und treffend entscheiden zu können. Die Werke dieser jungen Künstler werden, so sagte die französische Ausstellungsmacherin bei einem Pressegespräch, vornehmlich in dem Raum der Orangerie gezeigt, den bislang das Staatstheater als Probebühne nutzt.

Das heißt: Die Ausstellungsbesucher, die die documenta im Sinne der Macher erleben, also dem Parcours vom Kulturbahnhof durch die Innenstadt bis zum Fulda-Ufer folgen, werden die junge Kunst abseits vom Zentrum sehen – als einen Ausblick in die offene Zukunft. Für den Gang durch die documenta wird eine Dramaturgie entwickelt – mit unterschiedlichen Erlebnisräumen, wobei wesentliche Vorgaben die Ausstellungsorte selbst liefern.

Die documenta-Leitung hatte für gestern die Presse zu einem Gang über den Parcours eingeladen, um sichtbar werden zu lassen, wo Kunst zu erleben sein wird. Dabei wurde aber nicht ganz klar, welche Bedeutung der Parcours für die Ausstellung selbst hat – abgesehen von der Tatsache, daß er
einen Ort mit dem anderen verbindet. So meinte Hortensia Völckers, Catherine Davids Assistentin, beim Rundgang, der Parcours lege einen historischen Schnitt durch die Stadt, der ganz wesentlich sei und dem im Katalogbuch auch ein ausführliches Kapitel gewidmet werde. Als aber die künstlerische Leiterin gefragt wurde, wie dieses stadtbezogene Konzept dem Besucher einsichtig werde, sagte diese abrupt, sie sei niemandes Lehrerin; die Idee vom Parcours sei nur ein Vorschlag.

Gleichwohl hat das Team drehbuchartig Überlegungen entwickelt, wie der ideale Besucher in und durch die documenta kommt: Der auswärtige documenta-Gast reist mit dem ICE an. Möglicherweise hat er im Heimatort schon ein Kombiticket (Fahr- und Eintrittskarte) gelöst. Im Zug hat er den Kurzführer gekauft. So kann er in Kassel-Wilhelmshöhe gleich in den Zubringer (Shuttle) zum Hauptbahnhof (Kulturbahnhof) steigen, wo in den rückwärtigen Räumen, die früher die Bahnpost nutzte, auf drei Etagen 1600 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung stehen. Es gibt dort zwei großzügige Industriehallen, die von je zwei Pfeilerreihen gegliedert werden, und kleine Kabinette.
Der Kulturbahnhof bleibt auch in anderer Beziehung Angelpunkt: Im Bali-Kino werden die sieben, acht Filme zu sehen sein, die im Auftrag der documenta produziert werden. Außerdem werden die Besucher an anderen Stellen documenta-Beiträge finden. Kunst wird überhaupt außerhalb der geschlossenen Räume installiert, wenn auch nicht unbedingt in Form der klassischen Skulptur
– so in den beiden Unterführungen zwischen Bahnhof und Innenstadt, in der Treppenstraße als dem Sinnbild der 50er-Jahre-Architektur und im Prinzengarten am Fulda-Ufer. Weitere Räume dazwischen bieten das Museum Fridericianum, zwei Obergeschosse im gerade restaurierten Ottoneum, die documenta-Halle und die Orangerie.

Catherine David plant die documenta als ein Projekt, das rück- und vorausblickend den Zustand der Welt und Kultur zur Diskussion stellt und dabei untersucht, mit welchen Bildsprachen die Künstler bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen operieren. Die starre Ausstellung ist nur ein Teil für sie. Andere Teile bilden die Filme, Theaterprojekte, Katalogbeiträge und die Veranstaltungen, die sie Abend für Abend unter dem Thema „100 Tage – 100 Gäste“ in der documenta-Halle plant. Die Halle wird Kommunikationszentrum.

HNA 19. 11. 1996

Schreibe einen Kommentar