Faltblatt stellt das Konzept vor

Ein soeben erschienenes Faltblatt (Leporello) stellt das Konzept für die documenta X vor, die vom 21. Juni bis 28. September 1997 in Kassel stattfindet.

Die zehnte documenta wird weit mehr als eine Ausstellung sein. Die Kunstschau wird nur den Kern des Ereignisses bilden, um den herum in konzentrischen Kreisen andere Projekte auf den verschiedensten Ebenen (Medien) platziert werden. Ziel der künstlerischen Leiterin Catherine David ist es, eine umfassende Bestandsaufnahme und Interpretation der heutigen Kultur vorzunehmen.
Ein zwölf seitiges Faltblatt r präsentiert erstmals Davids Konzept im Zusammenhang.

Das Faltblatt soll auf die kommende documenta einstimmen und für sie werben. Während auf den ersten vier Seiten in Kurzporträts die voraufgegangenen neun documenten charakterisiert werden, findet man auf den letzten beiden Seiten Informationen zum Kartenverkauf, zur Kunst und Freizeit in Kassel und Hinweise auf die drei Hauptsponsoren Deutsche Bahn, Sony und Sparkassen- Finanzgruppe. Dazwischen findet man den Text zum documenta-Konzept sowie einen Plan mit dem Ausstellungsparcours durch die Innenstadt.

Catherine David will den kritischen Rückblick auf die Kunst und Kultur der letzten 50 Jahre mit einer grenzüberschreitenden Vorausschau verbinden. Dabei soll die Betrachtung der Kunst auch den Blick auf das politisch-gesellschaftliche Umfeld einschließen, aus dem sie hervorgegangen ist.
Folgende Ebenen sind für die documenta X geplant:

• Ausstellung: Den Kern des Ereignisses bildet die Ausstellung, die sich entlang eines Parcours durch die Innenstadt entwickelt. Bewußt wird die Geschichte der Stadt mit ihren architektonischen Zeugen und Brüchen einbezogen. Die Stationen sind: Hauptbahnhof, Unterführungen, Treppenstraße, Museum Fridericianum, Ottoneum, documenta-Halle, Orangerie und das Fuldaufer. Inhaltlich wird die Ausstellung als „Retroperspektive“ angelegt, als eine Verbindung von Rück- und Ausschau. So soll eine Auswahl künstlerischer Haltungen getroffen werden, die sich in den 60er und 70er Jahren herausbildeten, und es soll auch die junge Künstlergeneration vorgestellt werden, die ins nächste Jahrtausend weist. Rund 150 Künstler werden eingeladen.

• 100 Tage – 100 Gäste: Gleichrangig mit der installierten Ausstellung soll die Veranstaltungsreihe sein, die Catherine David unter dem Titel „100 Tage – 100 Gäste“ für die documenta-Halle plant. Dort soll die kulturell-künstlerische Bestandsaufnahme durch Vorträge, Lesungen, Diskussionen und Performances von Akteuren und Vordenkern, von Filmemachern, Schriftstellern, Architekten Wissenschaftlern, Philosophen und Künstlern ergänzt werden. Ebenso wie die 150 ausstellenden Künstler sucht Catherine David die 100 Gäste selbst aus.

• Filme: Für die documenta werden mit Unterstützung von Sony Filme produziert, die
dann in Kassel ihre Uraufführung erleben sollen. Außerdem erarbeitet die documenta in Zusammenarbeit mit dem Filmladen ein Filmprogramm, das im Bali, dem Kino des Kulturbahnhofs, läuft.

• Theater: In der Eröffnungsphase der documenta X werden Theatermacher (Regisseure, Choreographen, Komponisten Bühnenbildner, Schauspieler und Autoren) nach Kassel eingeladen, um sich zu „Theaterskizzen“ inspirieren zu lassen. Die ausgewählten Skizzen werden an einem Wochenende im September in einem 24stündigen Theater-Marathon vorgeführt.

• Publikationen: Auch die Publikationen gelten als Teil der kulturellen Bestandsaufnahme. Da sind einmal die „documenta-documents“, die sogenannten Arbeitspapiere. Zwei von fünf geplanten Heften liegen vor. Das letzte soll als Bilanz gegen Ende der documenta erscheinen. Hauptveröffentlichung wird das documenta-Buch, das Einblicke und Erkenntnisse ermöglichen soll, zu der die Ausstellung nicht verhelfen kann. Die Essays sollen das gesamte kulturell- gesellschaftliche Spektrum seit 1945 berühren.

Mit diesem Konzept setzt die documenta X etwas um, was in einem frühen Stadium auch für die erste documenta geplant worden war. Da hatte es in einem Papier geheißen: „Das entscheidend Neue einer solchen Veranstaltung wäre darin zu sehen, daß nicht, wie allgemein üblich, eine oder mehrere Kunstgattungen in ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstadium gezeigt werden, sondern daß das bemerkenswerte Anliegen dieser Veranstaltung darin erblickt wurde, die Wurzeln des gegenwärtigen Kunstschaffens auf allen wesentlichen Gebieten sichtbar zu machen.“

Neben der Ausstellung waren Theater-, Musik- und Filmaufführungen sowie Lesungen geplant. Doch im Laufe der Zeit setzte sich die „Kunstfraktion“, die vorrangig die Ausstellung wollte, durch. Am Ende blieb kaum Geld für die anderen Ebenen.

HNA 3. 10. 1996

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