Die kritische Seite der Kunst

Viele gute Einzelbeiträge, doch die Ausstellung mit den größten Schwächen:
documenta 8 (1987). Sie stand im Zeichen von Videoskulpturen, Performance und auf die Stadt bezogenen Arbeiten.

Nach Arnold Bode hat bislang nur ein Ausstellungsmacher zweimal die documenta künstlerisch geleitet: Manfred Schneckenburger. In beiden Fällen – 1977 und 1987 – trat er als Retter in der Not auf. Nachdem er im Vorfeld der documenta 6 eingesprungen war, weil Karl Ruhrberg und Wieland Schmied keine Chance gesehen hatten, ihre Planung umzusetzen, profitierte er zehn Jahre später davon, daß das Gespann aus Edy de Wilde und Harald Szeemann, das mehr durch politischen Willen als eigene Überzeugung zusammengekommen war, nicht funktioniert hatte.

Schneckenburger hatte dabei den Vorteil, von seinen auch negativen documenta-Erfahrungen profitieren zu können. So verzichtete er auf ein theoriebeladenes Konzept und ging auch vom Abteilungsdenken ab. Seine documenta 8 knüpfte an die Ausstellung von Rudi Fuchs an, indem sie ebenfalls Werke von Künstlerpersönlichkeiten herausstellte. Er bezog aber auch klare Gegenpositionen. Die Malerei, mit der er sowieso nicht soviel im Sinn hatte und die sich zudem einen Teil ihrer Offensivkraft verloren hatte, spielte nur eine untergeordnete Rolle. Dafür gewann eine neue Kunstform an Überzeugungskraft – die aus Monitoren gebaute Videoskulptur. Die Räume von Nam June Paik, Marie-Jo Lafontaine und Fabrizio Plessi mögen hier beispielhaft genannt sein.

Außerdem öffnete Schneckenburger wieder den musealen Raum und lud zahlreiche
Künstler ein, die sich in ihren Beiträgen mit der Stadt auseinandersetzten. Die landschaftsbezogene Skulptur war 1977 die große Stärke der documenta gewesen. Zehn Jahre später lautete Schneckenburgers These, die Künstler hätten vom Dialog mit der Natur weitgehend Abschied genommen und würden sich in ihren Arbeiten kritisch mit der Stadt (und ihren Problemen) sowie historisch-gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Tadashi Kawamatas fließende Ummantelung der Garnisonskirchen-Ruine mit Bauhölzern war 1987 ein ebenso gelungenes Beispiel für diese Neuorientierung wie die vier Guillotinen des Schotten Ian Hamilton Finlay im Auepark, die an die zwei Gesichter des 18. Jahrhunderts erinnern sollten.

Aber gerade auf dem Gebiet der Skulptur, auf dem Schneckenburgers Stärke liegt, bereitete die documenta zahlreiche Enttäuschungen. Symbolhaft wurde das Scheitern von George Trakas beim Versuch, den (damals noch nicht umgebauten) Königsplatz mit Stegen, Treppen und Brücken in eine Piazza zu verwandeln. Ins Schlingern geriet die Ausstellung auch dort (Orangerie), wo sie sich dem damals aktuellen Wechselspiel von Kunst und Design zuwandte.

Hatte die documenta 7 die ästhetische Qualität der Werke herausgestrichen und auf den
Dialog der Kunst im musealen Rahmen gesetzt, legte die documenta 8 ein besonderes Schwergewicht auf die politisch-kritische Kunst: Programmatisch hatte Hans Haacke im Fridericianum seinen Beitrag realisieren können, in dem er die Symbole von Mercedes und Deutscher Bank wie in einem Geschäftsfoyer installierte und durch hinzugefügte Bilder aus Südafrika den Unternehmen die Stützung der (damaligen) Apartheid-Politik anlastete.

documenta 8 (1987): Rund 240 Künstler. 468 000 Besucher. Etat: 10,195 Mio. Mark, Erlöse und Spenden: 4738 Mio. Mark, Zuschüsse 5,457 Mio: Mark (davon 910 000 zur Defizit-Deckung).

HNA 31. 1. 1997

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