Die Kunst und die Bahn

Eine so mobile und weitreichende Werbung hatte keine documenta zuvor:
Die ICEs, die durch Deutschland fahren, tragen bis zum Herbst das Logo der documenta X.

Das Wort von der „Renaissance der Bahnhöfe“ ist für Kassel und die kommende documenta kein leeres Versprechen. Zwar wird im Sommer (21. Juni bis 28. September) auch wieder das Museum Fridericianum zu dem zentralen Standort werden, doch fast genau so wichtig wird der zum Kulturbahnhof umgestaltete alte Hauptbahnhof. Dort sollen möglichst viele Besucher ihren Ausstellungsrundgang beginnen, dort soll das documenta-Filmprogramm laufen und dort wird auch eine neue, 1800 Quadratmeter große Ausstellungsfläche auf zweieinhalb Etagen gewonnen, die nach Auskunft von documenta-Leiterin Catherine David viele Künstler begeistert.

Bei den notwendigen Umbauarbeiten soll die Weitläufigkeit der 70 Meter langen Raumachsen erhalten bleiben. Die Wiener Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy, die für die Ausgestaltung der documenta-Räume verantwortlich sind, wollen generell so wenig wie möglich in die Raumstrukturen eingreifen. Ihrer Vorstellung nach soll die Ausstellungsarchitektur selbst nicht sichtbar werden, sondern die möglichst optimale Präsentation der Werke ermöglichen.
Die Eroberung neuer Spielorte wird nahezu jedes Mal zum Gewinn einer Großausstellung. In diesem Fall kommt die unbestimmte Vorstadtsituation des Hauptbahnhofs den inhaltlichen Vorstellungen von Catherine David sehr entgegen, da sich ihrer Meinung nach viele Künstler mit den Randzonen der Städte auseinandersetzen. Durch den Zugewinn der Bahnhofsräume verfügt die documenta X über eine Ausstellungsfläche, die mit über 9000 Quadratmetern so groß ist, wie sie bei der documenta IX war.
Der Bahnhof als Ausstellungsort und als Beginn des documenta-Rundgangs: Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, daß die documenta GmbH in der Deutschen Bahn – neben Sony und der Sparkassen-Finanzgruppe – einen ihrer drei Hauptsponsoren fand. Die Bahn empfiehlt sich dementsprechend auf Prospekten als „Deutschlands schnellster Kunstförderer zur documenta X“. Gemeinsam gaben Catherine David und Bahnchef Heinz Dürr gestern den Startschuß zu einer flächendeckenden Werbeaktion der Bahn: Alle ICEs sowie alle nordhessischen Nahverkehrszüge werden ab sofort mit dem documenta-Logo durch die Lande fahren. In den Bahn-Zeitschriften wird ebenso auf die documenta hingewiesen wie auf den Großbildschirmen auf den Bahnhöfen.

Und natürlich will die Bahn auch mit Sonderangeboten die documenta-Besucher auf die Schiene locken: Auf sieben großen Bahnhöfen werden eigene documenta-Stände eingerichtet. Und wer eine documenta-Eintrittskarte am Bahnschalter erwirbt, kann von überall zum Sondertarif nach Kassel reisen: Für bis zu zwei Personen kostet die Rückfahrkarte im Bereich von 101-300 Kilometern 99 Mark und darüber 149 Mark. Für den Regionalverkehr bietet der Nordhessische Verkehrsverbund sein Multiticket an.

HNA 31. 1. 1997

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