In unserer Porträtreihe der docunienta-Künstler stel1en wir auch die sieben Regisseure vor, die
im Auftrag der documenta je einen Film drehen. Wir beginnen mit Raoul Peck (Jahrgang 1953).
Die documenta ist eine Ausstellung, in der es vornehmlich um Bilder und Objekte geht. Doch weder haben sich die Künstler auf die klassischen Techniken festlegen lassen noch war der Blick der documenta-Macher ausschließlich auf die stehende Ausstellung fiixiert. Schon für die erste documenta hatten Arnold Bode und sein Kreis geplant, die Wurzeln des gegenwärtigen Kunst-
schaffens auf allen wesentlichen Gebieten sichtbar zu machen. Zum ursprünglichen Konzept gehörte, die entscheidenden in- und ausländischen Filme zu zeigen.
Dazu kam es nicht, doch gab es begleitend zur documenta 1955 ein erstes Filmprogramm. Filme wurden auch 1972 und vor allem 1977 zu festen Bestandteilen der Kasseler documenta. Daß auch Catherine David Filme in die Ausstellung einbeziehen würde, war von Anfang an klar. Doch die zehnte documenta wird die erste sein, für die eigens Filme produziert werden.
Es sind nicht gewöhnliche Spielfilme, die da entstehen. So wie Catherine David bei Fotografie und Malerei nach den Künstlern Ausschau hält, die die Sprache der Bilder untersuchen und neue Ausdrucksformen erproben, so entscheidet sie sich beim Film für Regisseure, deren Haltungen, Themen und Arbeitsweisen heute selten geworden sind. Es sind Filme zwischen Dokumentation und Erzählung.
Raoul Peck, der 1953 in Port-au-Prince geboren wurde, in Afrika, Europa und USA lebte und seit 1996 Kultusminister von Haiti ist, steht für diese Grenzgänger. 1992 etwa drehte er den Film Lumumba – Tod eines Propheten, in dem Peck nicht nur das Leben und Sterben des Politikers Lumumba rekonstruiert, sondern auch zugleich eine Annäherung an seine eigene Jugend in Belgisch- Kongo versucht. Wochenschaubilder mischen sich darin mit verwackelten Privataufnahmen und professionell gedrehten Sequenzen.
Für Peck ist die private Biografie nicht vom politischen Schicksal eines Landes ablösbar. Er selbst hat große Teile seines Lebens in der Fremde zugebracht. Also begibt er sich in dem Film Zeit der Müdigkeit. Schwarz, kein Bild, kein Ton, den er für die documenta dreht, auf die Suche nach seiner Heimat – im direkten und übertragenen Sinne. Auf diese Weise soll ein dokumentarisches Tagebuch entstehen, das die Zerrissenheit des Menschen zwischen den Kontinenten und Kulturen und zwischen den politischen Systemen reflektiert: Der Reisende war Flüchtling; in der Fremde war er daheim, und in dem Land seiner Geburt ist er ein Fremder. Der Film, der diese moderne Brüchigkeit spiegeln soll, wird zur documenta uraufgeführt.
HNA 12. 3. 1997