Er steht für die jüngere, gegen alle Normen anrennende Künstler-Generation. Seine documenta-Teilnahme ist verabredet, aber nun ist er eine historische Figur: Martin Kippenberger starb 43jährig.
Der Magen des Kunstbetriebes verdaut nahezu alles. Selbst das, womit er geärgert werden soll, nimmt er auf und zieht Kraft daraus. So ist am Ende sogar die Anti-Kunst derart mit Säften durchsetzt, daß sie nahrhaft wird und museumsreif. Der aus Dortmund stammende Martin Kippenberger (Jahrgang 1953) war in den letzten Jahren zu einer Kultfigur des Kunstbetriebes geworden – gerade auch deshalb, weil er alles verspottete und veralberte, was diesen Betrieb ausmacht. Insofern war er ein Enkel der Dada-Künstler, die nach dem Ersten Weltkrieg die Kunstszene aufmischten.
Aber während die Dada-Künstler rasch eine neue Schönheit schufen, beharrte Kippenberger trotzig auf seinen Widerworten. Wo andere sich brav auf die Füße stellen, übte er ungelenken Kopfstand. Und er war immer in einer ganz anderen Ecke, als man vermutete.
Martin Kippenberger liebte das Gewöhnliche, das Alltägliche, das Triviale. Für die documenta 9 (1992) entwarf er eine goldglänzende Laterne, deren langer Ständer zweifach umgebogen war, so daß die Lampe dicht über dem Boden schwebte und eine daran befestigte Schlinge die Erde berührte. War die Laterne verbogen, weil sich jemand daran aufgehängt hatte? Die Laterne selbst war auf der documenta nicht zu sehen. Nur als Plakatmotiv kam sie nach Kassel; da erblickte man sie vor dem Museum Fridericianum auf dem Erdkilometer stehend.
Kippenberger zeichnete und machte spielerische Objekte, vor allem sammelte er Alltägliches, um es in überraschenden Zusammenhängen auszustellen, und er schrieb wilde und erheiternde Texte. Wahrscheinlich amüsierte er sich über tiefsinnige Betrachtungen seiner Arbeiten, aber bei aller Rotznasigkeit war er ein Künstler, der durch seinen unorthodoxen Umgang mit Objekten und Bildern zum Einhalten einlud und zum Nachdenken über die Funktion des Bildlichen.
Im Mönchengladbacher Museum Abteiberg zeigt Veit Loers derzeit eine Kippenberger-Ausstellung, deren Titel Der Eiermann und seine Ausleger schon die unterhaltsame Provokation andeutet. Loers hatte, als er die Kunsthalle Fridericianum leitete, Kippenberger wiederholt präsentiert. In der documenta X wird Kippenberger mit Arbeiten vertreten sein. Außerdem hat er zwei Beiträge für die documenta-Edition geliefert – unter anderem zwei verschiedene Schuhsohlen aus Aluminiumguß.
HNA 21. 3. 1997