Seit 1979 machen sie Gemeinschaftsarbeiten, die Schweizer Künstler Peter Fischli (Jahrgang 1952)
und David Weiss (Jahrgang 1946). Jetzt nehmen sie zum zweiten Mal an der documenta teil.
Zur documenta 8 (1987) war der Raum von Peter Fischli und David Weiss ein Geheimtip. Es war ein nur kleines Kabinett im Museum Fridericianum, in das kaum mehr als ein Dutzend Besucher paßten. Diejenigen, die den Videofilm, der da zu betrachten war, nicht sehen konnte, wurden neugierig
gemacht, durch das gelegentliche Lachen der Zuschauer.
Es lief ein Filmzyklus über Kettenreaktionen: Zu sehen war, wie in einer alten Fabrikhalle
eines das andere auslöst: Heranfließendes Wasser weicht Würfelzucker auf; eine von den Zuckerstückchen getragene Wand fällt um und treibt durch einen entstehenden Luftzug eine Schachtel so weit, daß die eine hölzerne Kabelrolle in Bewegung setzt…
Mühsam und behutsam zugleich wird die Kettenreaktion mit fallenden, rollenden und brennenden Gegenständen in Begegnung gehalten. Liebenswert und amüsant daran ist der Wechsel der unerwarteten Effekte, die ausgelöst werden. Aber auch das Unbeholfene der Gegenstände und ihrer Bewegungen reizt immer wieder zum Lachen. Es entsteht das Gegenbild zur Maschinenwelt, in der alles effektiv funktioniert. Dabei läuft die Kettenreaktion nach einem perfekten Plan ab, der allerdings von der Kamera nur schrittweise enthüllt wird.
Peter Fischli und David Weiss sind zwei Künstler, die den Gegenständen und Abläufen des Alltags ihre natürliche Würde und Bedeutung zurückgeben. In der Kettenreaktion werden Dinge (und die von ihnen in Gang gesetzten Wirkungen) wichtig, die man sonst eher übersehen würde.
Zur vorigen Biennale in Venedig stellten sich Fischli & Weiss mit einer großräumigen Video-Installation vor (die jetzt im Kunstmuseum Wolfsburg zu besichtigen ist): Auf zwölf Monitoren sind parallel laufende, ganz unterschiedliche Filme zu sehen. Es sind Videofilme von alltäglichen Nichtigkeiten – Autofahrt durch einen Tunnel, Arbeiten im Steinbruch, ein Junge in der Schule, David Weiss beim Zahnarzt, das Melken auf der Alp oder die Fahrt des Schneeräumers. Fasziniert schaut man zu. Es ist, als würde man manche Dinge zum ersten Mal sehen und erleben. Die Kamera wird wie bei einem Dokumentarfilm geführt, der mit großer Beharrlichkeit einen Vorgang verständlich zu machen versucht.
Als Betrachter fühlt man sich hin- und hergerissen. Einerseits weiß nicht, wohin man zuerst schauen soll, andererseits ist man überwältigt von dem Gefühl, das Leben in seiner ganzen Fülle – in der Gleichzeitigkeit der Abläufe studieren zu können. Besonders beruhigend (und auch aufregend) wirken die Filme dadurch, daß sie nicht durch Schnitte beschleunigt sind, sondern die Abläufe in ihrem natürlichen Fluß zeigen. Zur documenta X werden Fischli & Weiss ein Video auf arte nach Sendeschluß (als Dauerschleife) zeigen.
HNA 22. 4. 1997