Die alltäglichen Grausamkeiten

Der israelische Künstler David Reeb (Jahrgang 1952) ist hierzulande kaum bekannt. Seine Malerei entsteht aus der direkten Auseinandersetzung mit der aggressiven Wirklichkeit – dem Krieg.

Bei einer seiner Ausstellungen in Israel hängte David Reeb eine Fahne der Palästinenser-Organisation PLO auf. Er mußte die Fahne wieder abnehmen und wurde indirekt dadurch bestraft, daß kein Katalog zur Ausstellung erschien. So eng können Kunst und Wirklichkeit beieinander liegen.

David Reeb sucht diese Nähe und die sich daraus ergebenden Überschneidungen. Er lenkt mit seiner Kunst den Blick auf die Alltagsformen der Gewalt, die man gerne übersehen und verdrängen möchte.
David Reeb ist ein Maler, der sich an der Fotografie orientiert. Er malt auf der Grundlage von Pressefotos, die von seinem Land und dessen Konflikten erzählen – von der israelischen Besetzung palästinensischer Gebiete etwa, von den Gewaltausbrüchen und von den Möglichkeiten eines neuen Krieges. Ihn interessieren dabei nicht die Helden, die Symbolfiguren, sondern die alltäglichen Situationen: Seine Bilder verweigern die große Geste, das vorzeigbare Symbol. Reeb geht
es mehr um das Normale – um den Soldaten, der mit seinem schußbereiten Gewehr um die Ecke springt, oder den Palästinenser, der aus dem Hinterhalt seinen Angriff wagt.

Die Bilder, die David Reeb komponiert, sind genügsam. Sie brauchen weder das große Thema noch die künstlerisch große Geste. Auf diese Weise bestärkt er das Gefühl, daß das, was er da schildert, nichts Außergewöhnliches ist, sondern zum täglichen Leben gehört. Die Anklage, die in den Bildern steckt, richtet sich also nicht gegen anonyme staatliche Gewalten, sondern das menschliche Verhalten insgesamt und damit gegen uns selbst.

Die Kunst, so ist Reebs Malerei zu verstehen, hat durchaus zu der Welt und ihren Auswüchsen noch etwas zu sagen: Welche Zukunft hat Israel? Und wo liegt die Chance zu einem friedfertigen Leben? Der gemeine und namenlose Mensch ist Täter und Opfer zugleich.

Wenn allerdings Reeb nur anklagend fragen würde, hätte er das Interesse von Catherine
David nicht geweckt. Seine Arbeitsweise stellt auch die Kunst selbst und deren Äußerungsweisen zur Diskussion. Das Verhältnis von Fotografie und Malerei wird ebenso hinterfragt wie die Form, in der etwas malerisch dargestellt werden kann. Nicht zufällig hat Reeb, Variationen eines Bildmotivs geschaffen und sich in immer neuer Weise dem gleichen Thema genähert.

Der israelische Künstler zwingt uns zu einer gewandelten Kunstanschauung. Nachdem sich hierzulande die politisch-engagierte Kunst nahezu abgemeldet hat, lernen wir sie durch Maler wie David Reeb neu kennen. Da herrscht keine vordergründige Betroffenheit vor und keine moralisieren
Belehrung. Man blickt, so scheint es, einfach nur in einen Spiegel, in dem man auf die
alltäglichen Bilder aus dem Fernsehen wieder trifft.

Nicht das Einzigartige und nicht das Außerordentliche, so die Konsequenz, prägen das Bild der Welt, sondern das Austauschbare und Beiläufige. Auf diese Weise werden die Konflikte, mit denen sich die Israelis auseinandersetzen müssen, zu etwas Normalem und Schicksalhaften: Der Urgrund zum Streit liegt in uns selbst. Und die Kunst vermag das vermitteln.

HNA 1. 5. 1997

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