Jede documenta sucht sich neue Räume und jede documenta schafft sich ihre Innenarchitektur.
Für die Gestaltung sind die Osterreicher Andräs Pálffy und Christian Jabornegg zuständig.
Zwei Welten – das Museum Fridericianum und der Südflügel des Kasseler Kulturbahnhofs. Die beiden Gebäude zusammen werden das Zentrum der am 21. Juni beginnenden documenta bilden. Das eine, das (allerdings nur noch äußerlich) klassizistische Museum Fridericianum, verwandelt sich ganz in ein Museum. Es nimmt die älteren, die retrospektiven Arbeiten auf und lenkt den Blick nach innen. Die Fensterfronten verschwinden für die Besucher weitgehend hinter Verschalwänden. Dagegen bleiben im Südflügel des Kasseler Hauptbahnhofs die Räume auf zweieinhalb Etagen die schlicht-schönen Fensterreihen offen. Immer wieder wird es einen Blickwechsel von den ausgestellten Arbeiten zu der Hinterhofarchitektur oder zum Bahnhofsbetrieb geben.
Zwei Welten, zwei unterschiedliche Klimazonen und Erlebnisräume: Die Bahnhofsräume der documenta, die den Parcours eröffnen, stellen die unmittelbare Verbindung zur randstädtischen Wirklichkeit her. Die österreichischen Architekten András Pálffy und Christian Jabornegg, die grundsätzlich zusammenarbeiten, sind in ihrer Arbeitsauffassung ebenso präzise wie bescheiden. Als größtes Kompliment dürften sie empfinden, wenn ihr gestalterischer Eingriff in dem Bahnhosgebäude gar nicht auffällt. Dabei haben sie die Schönheit und Klarheit der Funktionsräume freigelegt. Die Glanzleistung ihrer Arbeit darf man darin sehen, daß sie die drei notwendigen Treppenhäuser, die sie schaffen mußten, so hinter Wände oder Raumsegmente legten, daß sie das Raumerlebnis nicht stören. Zu Recht sind sie auch stolz darauf, daß auf jeder Etage Raumabschnitte entstehen (aber keine kleinteiligen Kabinette), die weitläufigen Sichtachsen ermöglichen und gleichzeitig Gliederungen zulassen.
Sich als Architekten nicht vordrängen, dem Ausstellungszweck dienen: Dieses Prinzip haben sie auch im Fridericianum angewandt, wo sie vor die gemauerten Wände Verschalelemente setzten, die die Räume weitgehend nach außen schließen. Aber stets bleiben die Kanten sichtbar und einzelne Fensterecken (mit gefiltertem Tageslicht) frei, so daß die eigentliche Gebäudeform nicht angetastet wird und sichtbar ist. Lediglich einzelne Längswände gliedern die großen Säle: Der Überblick soll erhalten bleiben und der Luftaustausch befördert werden. Die Architekten sind sicher, daß die Klimaprobleme im Sommer deutlich gemildert werden können.
So klar und großzügig war seit der documenta 7 das Fridericianum nicht mehr zu erleben. Das gilt auch und allem für die leergeräumte Rotunde, in der der Blickkontakt zur Außenwelt wiederhergestellt wird.
HNA 3. 5. 1997