Zum zweiten Mal gestaltet der Österreicher Peter Kogler (Jahrgang 1959) einen zentralen documenta-Beitrag. Er überzieht die gesamte vordere documenta-Halle mit einem Bildsystem.
Das Bild hat sich eingeprägt: Betrat man während der vorigen documenta das Fridericianum, wurde man von einer Doppel-Installation umfangen: Den inneren Kern bildete die Video-Installation von Bruce Nauman (mit den lauten Klagerufen), die äußere Hülle die Eingangshalle, deren Decke
und Wände rundum mit einer Tapete beklebt waren, auf der sich riesengroße Ameisen tummelten.
Ein doppelter Käfig eine zweifache Bedrückung. Geschaffen hatte diesen Raum der Österreicher Peter Kogler. Sein Beitrag zur vorigen documenta ging allerdings etwas unter. Da der Video-Raum von Nauman so überwältigend wirkte, trat das Ameisen- Dekor in den Hintergrund. Das wird sich bei der kommenden Ausstellung ändern. Peter Kog1er erhielt den gesamten vorderen Teil der documenta-Halle vom Eingang bis hinunter zum Café zur Ausgestaltung. Und er nutzte die ihm gebotene Chance und überzog die Decke sowie die fensterlosen Wände mit einer Tapete, die ein endlos verschlungenes und stark plastisch wirkendes System aus Röhren (oder Schläuchen) zeigt. Schon jetzt, fünf Wochen vor Eröffnung der documenta, kann man von außen sehen, wie sich der Raum verwandelt hat, und wie die Besucher der Halle von diesem schier endlosen System umfangen werden.
Die von documenta-Leiterin Catherine David wenig geliebte Halle gewinnt so in ihrem Eingangsbereich ein neues Profil. Und es ist faszinierend zu sehen, wie dieses Dekor Sprach- Elemente der Architektur aufnimmt. Andererseits gewinnt die Ausgestaltung etwas Programmatisches: Die verschlungenen Wege der Kommunikation, denen die documenta-Halle mit der Reihe 100 Tage – 100 Gäste dienen soll, werden ebenso symbolisiert wie das Eindringen der Kunst in die Computerwelt.
Peter Kogler entwickelt nämlich seine Arbeiten am Computer. Wie die Künstler der Pop-art findet Kogler die Bausteine für seine Arbeiten in der Alltagswelt – in Zeitungen, Zeitschriften, im Fernsehen oder in der Werbung. Hat er ein Bildelement entdeckt, bearbeitet er es am Computer – er stilisiert, vergrößert oder verfremdet. Das, was als alltägliche Form da ist und leicht übersehen wird, kehrt nun in neuer Gestalt wieder – häufig ins Monumentale gesteigert und so zusammengebracht, daß eine Raumsituation entsteht, die an Irrgärten erinnert. Die Nichtigkeiten des Alltags holen einen wieder ein. Die am Computer entwickelte Raumgestaltung ist im Grunde aber keine richtig Tapete, sondern eine riesige Collage, die aus unzählige kleinen Bildelementen komponiert worden ist.
HNA 14. 5. 1997