Haus für Schweine und Menschen

Für die kommende documenta X planen die Künstler Carsten Höller und Rosemarie Trockel ein Gemeinschaftsprojekt: Ein Haus für Schweine und Menschen.

Der quer durch die Kasseler Innenstadt gelegte documenta-Parcours vom Hauptbahnhof zum Fuldaufer mag sich zufällig ergeben haben. Jetzt aber, da die Einzelheiten des Ausstellungskonzeptes erkennbar werden, erweist sich der Parcours als geradezu notwendig für die Gesamtplanung:
Denn auf dem Weg zu den einzelnen Ausstellungsstationen durchlaufen die Besucher die verschiedenen historischen und städtebaulichen Schichten der Stadt. Außerdem sehen und erleben sie die unterschiedlichsten Bildwelten: Zeichnungen und Malerei, Installationen, Fotos und (Video-) Projektionen.

Hinzu kommen reale Bilder. Das fängt mit den wechselnden Ausblicken aus dem Südflügel des Bahnhofs an: Die Sicht auf den Bahnhofsalltag und die etwas trostlose Vorstadtsituation stellt den Zusammenhang her, den Catherine David für ihren Ausstellungsansatz sucht – die Beziehung zu den Randzonen der städtischen Gebilde.

Der in seiner Wahrnehmung geschärfte Besucher wird also auch in der Wirklichkeit Bilder entdecken können. Ein reales Bild wollen Rosemarie Trockel (Jahrgang 1952) und Carsten Höller (Jahrgang 1961) den documenta-Besuchern bieten – ein Bild, das sie amüsiert oder gelassen betrachten können und in das sie selbst einbezogen werden: An das Ende des documenta-Parcours wollen sie in den Orangerie-Garten zwischen zwei Hainbuchenhecken ein Haus setzen, in dessen einer Hälfte sich die ermüdeten Besucher ausruhen können. In der anderen Hälfte (plus einem Freigelände) wird eine Schweinefamilie leben – ein Familienverband der Bentheimer Landrasse, die von einem Hof im Werra-Meißner-Kreis kommt. Ausstellungsbesucher und Schweine unter einem Dach. Getrennt sind sie durch eine einseitig verspiegelte Glasscheibe, die nur den Menschen den Durchblick erlaubt.

Und was hat das mit Kunst zu tun? Weil die Kunst die Freiheit und Mittel hat, die Probleme der Wirklichkeit in neuem Licht zu zeigen. Carsten Höller und Rosemarie Trockel haben unterschiedliche Biographien. Höller ist von Hause aus Biologe, er hat sich wissenschaftlich mit der Kommunikation über Duftstoffe bei Insekten beschäftigt. Lange Zeit hat er ausschließlich als Wochenendkünstler gearbeitet. Diese künstlerischen Arbeiten bestanden aus Inszenierungen mit Alltagsobjekten – meist mit dem Ziel, auf satirisch-bösartige Weise darauf aufmerksam zu machen, wie Menschen und andere Kreaturen zu Opfern werden.

Rosemarie Trockel hingegen machte zuerst mit Stoffbildern auf sich aufmerksam, in die sie provozierende Symbole und Schriften wie Tapetenmuster projiziert hatte. Aber auch sie wechselte radikal die Ausdrucksmittel und entdeckte in der Auseinandersetzung mit Tierschicksalen ein für sich wichtiges Thema. So hieß ein 1993 publiziertes Künstierbuch „Jedes Tier ist eine Künstlerin“. Mit ihrem gemeinsamen documenta-Projekt greifen Carsten HöHer und Rosemarie Trockel ein vom Großstädtern (und Kunstbesuchern) verdrängtes Thema auf – die Schweinehaltung auf dem industrialisierten Bauernhof. „Wie kann es sein, daß Ethik, Menschrechte, Humanität an der
Schwelle des Menschseins aufhören und sich dahinter die furchtbarsten Abgründe auftun?“ fragt Baldo Hauser in einem Text zu dem Projekt. Das Schweine-Menschen-Haus geht die harte Problematik von der leichten Seite an. Es wird nicht angeklagt. Die vom Rundgang ermüdeten Besucher werden zur Rückkehr unter das gemeinsame Dach der Kreaturen eingeladen. Sie werden vielleicht zur heiteren Selbsterkenntnis verführt.

Da die Schweine artgerecht gehalten werden sollen, sind an dem Projekt außer den Künstlern viele beteiligt: die Landwirte Ottmar Holstein und Ulrich Rodewald, Dipl-Ing. Heinrich Schröder aus Wildeck und Christel Simantke vomVerein für artgerechte Tierhaltung in Witzenhausen.

HNA 7. 5. 1997

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