Der Kanadier Stan Douglas (Jahrgang 1960) arbeitet auf verwirrende Weise mit den Mitteln
von Fotografie, Video und Film. Er war bereits 1992 in der documenta IX vertreten.
Beim Gang durch das Museum Fridericianum wurde man während der vorigen documenta irgendwann von Jazz-Klängen angelockt. Schließlich wurde man magnetisch angezogen, und nicht wenige Besucher ließen sich in dem Raum von Stan Douglas auf dem Boden nieder, um sich von der poetisch-musikalischen Atmosphäre einfangen zu lassen. Auf großen im Raum hängenden, beidseitig bespielten Video-Projektionswänden waren die Aufnahmen von einem Konzert zu sehen (und dazu aus Lautsprechern auch zu hören), das vier Musiker bestritten. Wer da blieb und sich in das Konzert hineinziehen ließ, konnte leicht die Ausstellung um sich herum vergessen.
Aber Stan Douglas ging es nicht um die bloße Wiedergabe des Konzertes. Die schnelle Kameraführung und die bewegte Doppelprojektion erschwerten dem Auge die Orientierung. Noch mehr: An dem Punkt, an dem man glaubte, ganz eins mit der Musik werden zu können, stellte der Blick fest, daß vieles nichts zusammenpaßte. Denn während der Drummer spielte, war der Saxophonist zu sehen, und während der Saxophonist spielte, war der Drummer im Bild.
Stan Douglas ist ein Künstler, der von der Realität und der Alltäglichkeit der uns zur Verfügung stehenden Medien ausgeht. Er nutzt sie, um die Bild- und Verständigungsebenen zu vermischen, er zergliedert, analysiert und komponiert neu zusammen. Nimmt man die Bildprojektionen in dem beschriebenen Raum für sich, dann wurden die Besucher Augenzeugen des Schneidens und
Montierens der Filmsequenzen. Der Ton allerdings ließ die Illusion eines durchkomponierten Filmes entstehen.
Ähnliche Strategien wandte Douglas bei anderen Projekten an. So schuf er 1986 eine riesige Filmprojektion, für die er Archivmaterial aus der Pionierzeit des Filmes benutzte: Eine an der Spitze eines Zuges befestigte Kamera lieferte grobkörnige, unscharfe Bilder von einer kurvenreichen Fahrt mit starken Wechseln zwischen Hell und Dunkel. Diese Bilder unterlegte Douglas mit Worten von Marcel Proust und schuf so eine traumatische Atmosphäre.
Dann wieder arbeitete Douglas mit Bildern aus der amerikanischen Vorstadtwirklichkeit. Oder er unterlegte historische Stummfilmaufnahmen mit Piano-Musik, die ursprünglich für ganz andere Zwecke gedacht war. Es handelte sich nämlich um eine Komposition von Arnold Schönberg, die die-
ser für einen imaginären Film komponiert hatte. Die Musik untermalte nun Szenen, die aus der Alltagswelt der Polizei in British Columbia stammte.
Stan Douglas spielt mit den uns vertrauten Mitteln, um uns in Wahrnehmungsfallen zu lok-
ken. Wir halten anfangs das, was zerschnitten und neu montiert ist, für eine in sich stimmige Komposition, bis endlich das Auge oder das Ohr irritiert werden und wir merken, daß die vorgeführte Medien-Wirklichkeit Fiktion ist.
Stan Douglas sorgt für einen unterhaltsamen Erkenntnisprozeß. Dabei, so werden die die Kenner der Materie schnell feststellen, benutzt Douglas Mittel und Techniken, die im Alltagsgeschäft des Fernsehens ganz normal sind.
HNA 8. 5. 1997