Zwischen Metropole und Provinz

In zwei Wochen wird die documenta X in Kassel eröffnet. Die Jubiläumsschau nimmt verschiedene Ansätze ihrer Vorläuferinnen auf, ist aber in vielen Punkten ganz anders.

Die Flut der Vorberichte ist so groß wie nie zuvor. Und bei keiner anderen documenta standen die künstlerischen Leiter so zentral im Blickpunkt wie im Vorfeld der kommenden Schau. Es ist, als gebe das Porträt der Französin Catherine David Auskunft über Inhalt und Form der documenta X.
Die documenta-Leiterin als Medienstar, verrätselt durch den Beinamen „Sphinx von Kassel“. Das paßt in eine Zeit, in der durch die Konkurrenz der Medien die Ereignisse von morgen am besten bereits heute dargestellt und analysiert werden sollen. Befördert wurde diese Entwicklung
durch die Tatsache, daß erstmals eine Frau an der Spitze der Ausstellungsleitung steht. Für Catherine David selbst ist das kein Thema, wohl aber für viele andere. So war auch das Mißtrauen ihr gegenüber anfangs groß, zumal sie als Überraschungskandidatin aufgetaucht war.

Das Mißtrauen ist bei einigen geblieben. So befürchtet David-Vorgänger Jan Hoet eine „rein theoretisierende und ästhetisierende documenta“. Gewiß wird es weit mehr Theoretisches geben – im documenta-Buch und in der Reihe „100 Tage – 100 Gäste“ -‚ die Ausstellung selbst aber (samt Film, Internet und Theaterskizzen) wird, soviel ist voraussehbar, ein sinnliches Ereignis. Die Augen werden viel zu sehen haben.

Vor einem Jahr hatten einige Beobachter aufgrund der personellen Querelen im Umfeld der documenta-Leitung den Eindruck, die Planung sei in Gefahr. Das Gegenteil ist richtig: Seit langem hat es keine documenta gegeben, bei der so fahrplanmäßig die Vorbereitungen liefen. Und dank der Tatsache, daß Catherine David allein für die Künstlerauswahl zuständig ist (und sie keine Kuratoren neben sich hat), lief die Planung nicht aus dem Ruder. So wird diese documenta
zwar flächenmäßig genauso groß wie die Ausstellung von 1992, doch wird sie die bislang konzentrierteste Auswahl vorstellen: Während die früheren documenten zwischen 148 (1955) und 492 (1977) Künstler vorstellten, wird sich die documenta X auf 120 Namen beschränken.

Dabei gilt für Catherine David als ehernes Prinzip, die Werke ihrer Wahl zu zeigen und nicht darauf zu warten, was die Künstler für die documenta produzieren. Auf diese Weise will sie versuchen, ihr inhaltliches Konzept umzusetzen, das einmal darauf abzielt, die Form und Funktion des Bildes zu thematisieren und zum anderen den Zustand der Welt in den urbanisierten Räumen zu spiegeln. Keine andere documenta hatte einen so klaren inhaltlichen Zuschnitt.

Wenn es also um das Verhältnis von Metropole und Provinz geht, dann macht es auch Sinn, die Ausstellungsorte Kassel so miteinander zu verbinden, so daß der entstehe Parcours die Stadt selbst problematisiert.

Die documenta X wird sich in die Stadt ausweiten. Wohl wird es nicht so spektakuläre Skulpturen geben wie 1992, aber schon jetzt sind am Parcours im Außenbereich mehrere Arbeiten sichtbar. Ähnlich wie die Großskulptur wird Malerei allem Anschein nach der documenta X keine besondere Rolle spielen. Aber da es um das Bild allgemein geht, wird alles zur Diskussion stehen – von der Zeichnung bis zum Plakat, von der Installation bis zum Video und immer wieder Arbeiten, die mit Fotografie zu tun haben.

HNA 7. 6. 1997

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