Im Niemandsland der Städte

Als Künstler ist der Österreicher Lois Weinberger (Jahrgang 1947) schwer zu fassen, wenn man ihn über ein einzelnes Bild identifizieren will. Kultur und Natur sind seine Themen.

Im Heft 2 der „documenta documents“ ist ein Foto zu sehen, das eine unwirtliche Landschaft zeigt. Im Vordergrund sieht man Brachland mit Wildwuchs sowie Müll- und Schrott-Hinterlassenschaften.
Im Hintergrund sind abweisende Wohnblocks zu sehen, auf die der abwertende Begriff vom
„Plattenbau“ zutrifft. Das ist kein Kunstbild, sondern bittere, globale Realität: Da, wo die Stadt
aufhört und das Niemandsland beginnt und trotzdem noch städtischer Lebensraum zu finden ist. Dort fühlt sich niemand verantwortlich und gibt es kein Zuhause. Und doch hat heute fast jede Großstadt um sich herum einen solchen Gürtel, in dem sie sich verliert.

Catherine David, die künstlerische Leiterin der documenta X, hat herausgefunden, daß sich heute weltweit viele Künstler mit solchen Niemandslandschaften auseinandersetzen. Der Österreicher Lois Weinberger ist einer von ihnen. Mit immer neuen Mitteln bringt er in seinen Projekten uns das nahe, was wir verdrängen. Er fotografiert solche Zonen des Nichts und er pflegt in ihnen das, was uns nichts wert scheint – das sogenannte Unkraut: An Bahngleisen, Straßenrändern und auf Brachflächen siedeln sich spontan Pflanzen an, und Weinberger schafft mitten in der Stadt an Aufbruchstellen Gelegenheiten, wo die Natur die gleiche Chance hat, sich durchzusetzen – gegen die Gesetzmäßigkeiten der gärtnerischen Ordnung.

Andererseits bringt er die Zeugnisse verdrängter Geschichte zusammen – etwa eine Telefonzelle aus der DDR (eine Rarität in einer Gesellschaft, in der das Telefon Luxus war) und ein Schild aus Nazi-Tagen mit der Aufschrift „Licht sparen“. Kultur und Natur: Weinberger führt das, was im Alltag herausgefiltert und getrennt wird, wieder zusammen. Die Bilder, die wir loswerden wollen, hält er uns in neuen Zusammenhängen vor Augen. Und so unterschiedlich seine Entdeckungen sind, so verschieden sind auch seine Arbeiten: Mal präsentiert er Fotos, dann wieder peinlich genaue Zeichnungen von Pflanzenstrukturen und ein anderes Mal bringt er in Plastik verpackte Fundstücke mit Zivilisationsmüll in die Ausstellung oder er schreibt lyrisch dichte Texte.

Lois Weinberger muß keine Bilder erfinden. Er entdeckt sie und sammelt sie und legt sie uns kommentarlos vor – mal als reale Objekte, mal als Reproduktionen der Wirklichkeit.

HNA 16. 5. 1997

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