In der Kuppel des Fridericianums, über dem wegrestaurierten Treppenhaus, liest man mit roter Farbe geschriebene Wortfolgen, mit denen man vielleicht auf Anhieb wenig anfangen kann. Man liest wohl und voll klingende Wörter in einer klaren klassischen Schrift: Piaroa, Arekuna, Tukano. Jibaro, Munduruku. Kayapo, Xavante, Bororo, Toba, Tupinamba.
Eine kleine Karte von Südamerika lokalisiert die Wörter – es sind die Eigenbezeichnungen der indianischen Völker, die von der europäisch geprägten Zivilisation noch nicht erfaßt worden sind. Lothar Baumgarten (Jahrgang 1944), in Düsseldorf lebender Künstler, will mit dem Schriftfries ein Monument für diese Völker setzen, ein Denk- und Erinnerungsmal.
Seit Jahren schon beschäftigt sich Baumgarten systematisch mit jenen außereuropäischen Kulturen, die lange Zeit als primitiv eingestuft wurden. Daß diese schriftlosen Kulturen in vielen Hinsichten hoch entwickelt sind, belegt Baumgarten beispielsweise damit, daß es bei den südamerikanischen Indianern etwa 40 Wörter für Wasser gebe. Er selbst hat eineinhalb Jahre lang bei Indianern am Orinoco gelebt und sie in der Zeit kennenlernen können.
Im Gegensatz zu anderen Künstlern huldigt er nun nicht diesen Kulturen, indem er sie sich anheischig machte, sondern er ehrt sie ganz emotionslos. kühl und streng durch die schlichte Nennung ihrer Namen. Die beiden Rottöne, mit denen die Buchstaben gemalt wurden, entsprechen denen, die die Indianer zum Einfärben der Haut benutzen. Die Schriftart, so Baumgarten, diktierte das
klassizistische Haus, das Museum Fridericianum.
Lothar Baumgarten gehört zu den Künstlern, die sehr streng sind in der Auswahl ihrer Gestaltungsmittel, weil sie wissen, was zusammengehört. Er ist umso strenger, als er registriert, wo überall dies Wissen verloren gegangen ist, als er erschreckt erkennt, daß auch beim Innenausbau des Fridericianums dieses Wissen fehlte. Gerade weil sich seine Arbeit so eng mit der Architektur verbindet, sieht er die gemachten Fehler besonders scharf.
Auch Baumgartens zweite Arbeit ist ein Monument – ein Gedenkstein aus rotem Sandstein. Dieses Monument erinnert an Georg Forster (1754 – 1794), einen Weltreisenden, Natur- und Völkerkundler, Reise- und Kunstschriftsteller und Revolutionär. Forster, der auch sechs Jahre in Kassel wirkte, und in der Reichsacht starb, muß nach Baumgartens Ansicht aus dem Vergessen zurückgeholt werden. Ganz klar zielt er aus dem ästhetischen Rahmen heraus auf die Bewußtseinsbildung – knapp und verhalten vorgetragen, wie es bei Monumenten der Brauch ist.
Mai 1982