Die Überhöhung der Aura

Der Aufbruch in den 60er Jahren schien auch größeren Raum für politische Kunst zu schaffen. Die documenta 5 vermittelte ansatzweise etwas davon, doch schon zehn Jahre später, bei der documenta 7, ist nur noch wenig davon zu spüren. Politische Kunst ist die Ausnahme zur Regel. Hans Haacke ist neben Klaus Staeck eine der wenigen Ausnahmefiguren, die jetzt mit in Kassel dabei sind.

Wer die documenta 5 erlebt hat, wird sich vielleicht an die Besucherbefragung erinnern, die zur Ermittlung eines documenta-Besucherprofils in einem Raum des Fridericianums veranstaltet wurde. Hans Haacke, 1936 in Köln geboren und seit den frühen 60er Jahren in New York lebend, war der Urheber dieses wissenschaftlich erarbeiteten Fragebogens. Haackes aufklärerische Arbeit war hier auf Faktensammlung ausgerichtet, auf Erforschung; die Zwischenergebnisse wurden jeweils im Befragungsraum ausgehängt. Später dann nutzte Haacke die Ergebnisse aus drei gleichartigen Befragungen an unterschiedlichen Orten (documenta. Kunstverein Hannover, Haus Lange in Krefeld) zu einer vergleichenden Darstellung in einer Wanderausstellung.

Obwohl Haacke enttäuscht darüber ist, daß die documenta 7 vieles aus dem Kunstbereich ausklammert und daß sie einen eher restaurativen Charakter habe, ist er froh, daß sie dennoch einiges ermöglicht, was andernorts nicht machbar wäre. So kann er in der documenta seine Serie aus siebenmal zwei Tafeln zeigen, auf denen er unter dem Titel „Der Pralinenmeister“ die Aktivitäten des Unternehmers und Kunstsammlers Peter Ludwig dokumentiert und die beiden Bereiche Wirtschaft und Kunst in ihrer Verflechtung darstellt. Diese Arbeit war erstmals 1981 von einer Kölner Galerie parallel zur Eröffnung der .‚Westkunst“, einer vom Ludwig-Museum initiierten Ausstellung, gezeigt worden.

Gegenüber dieser dokumentarischen Arbeit ist Haackes anderer Beitrag als eine feierliche Inszenierung konzipiert: an einer Wand ein von Haacke nach einem Foto gemaltes Ölporträt von US-Präsident Reagen; darüber eine Messingleuchte, darunter ein Messingschild mit der Aufschrift ‚.Oelgemaelde – Hommage à Marcel Broodthaers‘; davor zwei Messingständer mit einer roten Kordel als Absperrung und ein roter Teppich; auf der gegenüberliegenden Seite ein Bild von Friedensdemonstration am 10. Juni in Bonn.

Eine dreifache Huldigung steckt in dieser Arbeit: Einmal macht Haacke eine ironische Verbeugung vor dem Präsidenten. Dann ist es eine Ehrung des verstorbenen Broodthaers, der sich mit imperialen Attributen ebenso beschäftigt hat wie mit Fragen der Kunstwirklichkeit. Und schließlich ist es eine Überhöhung der vom documenta-Team gewünschten andächtigen Aura für die Kunstbetrachtung. Der rote Teppich also für Reagen und die Kunst zugleich. So wird die Ausstellungsatmosphäre doppelt aufgebrochen – durch die Einbeziehung der aktuellen politischen Dimension und durch das Spiel mit der Bilder-Weihe.

Mai 1982

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