Der Hunger nach Bildern

Ein Herz mit Augen, Nase und Mund so wie Armen und Beinen steht als Maler vor einer Staffelei. Während aus den geschlossenen Augen eine Träne tropft, schlagen aus der dornenbekränzten Stirn Flammen. Liebliche Blumen-Girlanden umschließen die Szene. „Triumph der Leidenschaft“ heißt dieses Olbild von Milan Kunc (Düsseldorf).
Auf einer starken Gefällstrekke geht eine ungelenk säulenartige Figur mit Krone, die von einer anderen bekrönten Figur mit Schubkarre förmlich überrannt wird. Darüber, im Hintergrund, erkennt man in einer drei eckigen Fläche ein Gewirr von Zuschauerköpfen, die anscheinend die Szene bejubeln. „Ein König fällt nicht vom Himmel“ nennt Peter Bömmels (Köln) sein Bild.

Aus dem Dschungel vielfarbiger, heftig hingesetzter Pinselstriche schälen sich helle, ekstatisch bewegte, schlanke Figuren heraus, von denen die im Vordergrund stehende die ganze Bildhöhe von 240 Zentimeter einnimmt. „Verschärftes Aufsteigen“ ist das Kunstharz-Gemälde von Salomé (Berlin) betitelt.

Die drei Künstler haben wenig miteinander gemein: Kunc malt aus dem Kopf, trägt mit listigen Gedanken symbolträchtige Formen und Figuren zusammen, die er der kitschigen Werbewelt entlehnt; Bömmels verbindet effektvolle Malerei mit kindlich-naiver Zeichenkunst; und Salomé schließlich malt förmlich aus der Bewegung heraus, die Dynamik der Figuren überträgt sich auch auf die Farbfelder zwischen ihnen.

Drei Bildwelten, die typisch für eine ganze Bewegung sind und die die Vielfalt dessen kennzeichnen, was seit zwei Jahren als die junge Malerei gefeiert und heftig befehdet wird. Als erstes Museum im westdeutschen Raum versucht derzeit (bis 21. März) das Essener Museum Folkwang einen Einblick in dieses Phänomen zu geben.

„Zehn junge Künstler aus Deutschland“, darunter die eingangs erwähnten, werden hier als die qualifizierte Spitze eines Eisberges vorgestellt, dessen wahre Abmessungen man erst dann kennt, wenn man bis in die letzten Winkel der Kunstakademien vorgedrungen ist.

Zdenek Felix, der die Essener Ausstellung arrangiert hat, läßt die jungen Maler triumphieren:
Für sechs Wochen haben sich die Bilder nicht nur in den Räumen für Wechselausstellungen breitgemacht, sondern haben auch die Werke der amerikanischen Moderne von den Wänden der Flure vertrieben. Ein geradezu symbolischer Vorgang, wie nun sicher einige Gegner dieser Bewegung meinen werden.

Tatsächlich werden auf diesem Feld Glaubenskriege ausgetragen, denn mit dem Auftauchen der jungen Maler wurden manche alten Grundsätze umgestoßen. So galt es für viele als ausgemacht, daß sich die Kunst gemäß den Erfindungen des Kubismus und der Abstraktion beständig nach vorn entwickeln müsse.

Nun aber meldet sich eine Künstler-Generation (meist sind es Maler) zu Wort, die dies alles über den Haufen wirft, sich zurückwendet und aus der Fülle der künstlerischen Mittel der letzten 100 Jahre sich jene herausgreift, die ihr gerade recht sind.

Offensiv und aggressiv werden die Farben eingesetzt, die Grenzen zwischen gestischer und figürlicher Malerei verschwimmen, politische und intime Probleme werden ganz unmittelbar auf die Leinwand projiziert und die abgegriffensten Stilmittel aus Comic, Werbung und Kritzelkunst werden aktiviert.

Kraftvoll und atemlos präsentiert sich diese Malerei, mit dem schlechten Geschmack eher kokettierend als mit dem Konventionellen. Ganz unbekümmert werden Stile und Bildelemente anderer zitiert und selbstbewußt fast nur große Formate produziert. Bei aller Unterschiedlichkeit der Temperamente und Ausdrucksmittel ist der Gleichklang in der Dynamik des Bildaufbaus und in der Formensprache unübersehbar.

Nicht zufällig wirkt die Essener Ausstellung wie aus einem Guß; lediglich die streng und in ihrer naiven Widersprüchlichkeit glatten Bilder von Kunc heben sich ab. Diese Verwandtschaft der Sprache gilt sogar über die Grenzen hinaus – bis hin zu den jungen Italienern, die als Bahnbrecher der neuen Welle gelten.

Was aber ist es, das die Kritiker der jungen Malerei in Rage bringt? Sicherlich ist es auch der so schnell und leicht wirkende Erfolg von Künstlern, die nur zwei Jahre von ihrer ersten kleinen Schau bis zur großen Museumspräsentation brauchten. Hans Peter Adamski, Peter Bömmels
Walter Dahn, Georg Jiri Dokoupil und Gerard Kever, die als Gruppe „Mühlheimer Freiheit“ bekannt wurden und nun auch in Essen dabei sind, gelten als Paradebeispiele.

Malern wie ihnen wird entgegengehalten, der wahre Künstler benötige Jahre und Jahrzehnte, um auszureifen und sich durchzusetzen – womit diese jungen Erfolgreichen abqualifiziert wären. Stimmt die Umkehrung wirklich immer?

Richtig ist allerdings, daß bei der Kölner Premiere der „Mühlheimer Freiheit“ vor kaum eineinhalb Jahren nicht abzusehen war, wie schnell sich die selbstironischen Spitzen und Widerhaken etwa des Malerteams Dahn/ Dokoupil abschleifen und wie bald alle Ausbruchsversuche wieder auf die rechteckige Bildebene zurückführen wurden. Nachdenklich stimmt auch, wenn der Erfolg einige wenige sogar in Produktionszwang zu bringen scheint.

Natürlich haben einige rheinische und Berliner Galeristen gewichtigen Anteil an dem Blitzstart. Weit entscheidender aber ist, daß diese Malerei mit ihrem vitalen und unbekümmerten Verhältnis zur Farbe, Inhalt und Geschichte in jenem Moment die Galerien erreichte, in dem der Hunger nach Ausdruck und Farbigkeit, nach neuen blutvollen Bildern besonders groß war. Das Wort vom raschen Erfolg gilt aber nur für wenige. Denn mit der neuen Malerei drangen auch die Werke solcher Künstler an die breitere Öffentlichkeit, die jahrelang gegen den Strich gearbeitet hatten.

Mehr noch als das selbstbewußte Auftreten der jungen Künstler hat viele Kritiker die Ablösung der vertrauten Vorbilder und damit der überkommenen Werte beunruhigt. Daß Künstler wie Beuys, Kounellis und Merz mit ihrem neuen Gefühl für Stofflichkeit, Einfachheit und Mitteilung nicht ohne Einfluß blieben, wird oft kaum wahrgenommen. Die Unterstellung jedoch, hier werde weitgehend nur ein billiger Aufguß des Expressionismus betrieben, ist in dieser Allgemeinheit falsch. Sicher glaubt man, in Bildern von Salomé, Middendorf und Rainer Fetting mitunter die Formensprache der „Brücke“-Künstler wie Kirchner wiederzuentdecken, doch ist diese Verbindungslinie nur ein Teil des Beziehungsnetzes.

Wesentlicher ist, daß mancher dieser Künstler in der Auseinandersetzung mit Konstruktivismus und Konzept-Kunst nach Fluchtwegen suchte. Georg Baselitz, A. R. Penck, Jörg Immendorff, Michael Buthe und Sigmar Polke sind dabei eher unfreiwillig zu Vater-Figuren geworden, bevor sie sich selbst richtig als Söhne hatten präsentieren können.

Einer Kunst, die bewußt gegen die altvertrauten Qualitätsmaßstäbe Sturm läuft, die die Kritzelkunst dem klassischen Vorbild vorzieht, ist schwerlich mit überlieferten Kriterien beizukommen. Die Maßstäbe können nur an der Kunst entwickelt werden.

Klärung könnte da im Sommer wahrlich die Kasseler documenta 7 bringen, die sich zum Ziel gesetzt hat, Kunst durch Kunst (mit Hilfe von Gegenüberstellungen) verständlich und überzeugend werden zu lassen. Gewiß wird dies keine documenta, bei der die jungen Künstler die Szene beherrschen – eher werden dies ihre Vater-Figuren tun – doch ihren Niederschlag wird diese Bewegung finden. Einige Namen werden auf der Strecke bleiben, nicht aber das neue, intensive und sinnliche Gefühl für erzählende Kunst.

HNA Januar 1982

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