Mit der Kunst auf die Straße

Rudi Fuchs und sein Team wollen der Kunst in der documenta Schutzzonen einrichten, in der sich die Werke entfalten und in den Dialog miteinander treten können. Eine Reihe von Künstlern und Werken entziehen sich jedoch dem schützenden Dach. Joseph Beuys mit seiner Baumpfianzaktion gehört dazu. Aber auch die Amerikanerin Jenny Holzer (Jahrgang 1950), die mit ihren Arbeiten offensiv in den öffentlichen Raum vorstößt.

Die in New York lebende Künstlerin begann als Malerin. In ihre Bildthemen fügte sie geschriebene Aussagen ein, die im Laufe der Zeit für sie bald wichtiger wurden als die Malerei, so daß sie am Ende vom Malen wegkam und sich auf die Beschäftigung mit Thesen in geschriebener, gemalter, gedruckter und geprägter Form konzentrierte.

Um möglichst weit aus dem Kunstbetrieb heraus in die Öffentlichkeit vorzustoßen, nutzte sie Mitteilungsformen, die im normalen städtischen Leben gebräuchlich sind – Plakate, Hauswandbemalungen, Hinweisschilder für Arztpraxen und Leuchtreklamen. Das Reizvolle an diesen Arbeiten ist, daß die Form höchst vertraut ist, die emotional stark aufgeladenen Aussagen darin einen jedoch im ersten Moment vor den Kopf stoßen.

„Humor befreit. Dumme Menschen sollten sich nicht fortpflanzen. Handeln schadet mehr als denken.
Zu viel essen ist kriminell.“

Das sind vier von vierzig Thesen, die Jenny Holzer zur documenta 7 auf einer Hauswand im
Innenstadtbereich (Neue Fahrt) anbringen läßt. Es sind Aussagen, die provozieren – Zustimmung und Ablehnung. Jenny Holzer gibt hier keine Bekenntnisse ab, sondern zitiert Meinungen der verschiedensten Färbung. Der Passant, der die Thesen liest, sollte für sich selbst abhaken, was er für richtig und was er für falsch hält.

Eine zweite Arbeit besteht aus einer Serie von 15 Hinweisschildern (wie für Arztpraxen), die
Jenny Holzer mit Peter Nadin erarbeitet hat. Die Schilder werden an verschiedenen Gebäuden in der Kasseler Innenstadt angebracht und erhalten daher ein besonderes Überraschungsmoment. Die eingestanzten Texte sind länger als die Thesen und zudem poetischer. Sie können sehr wohl als Botschaften der Künstlerin verstanden werden, die sich dabei aber nie als Urheberin zu erkennen gibt.

Ein dritter Werkkomplex wird schließlich im Fridericianum gezeigt – Plakate mit längeren „aufgeheizten“ Texten, die auch das Ja oder Nein des Lesers herausfordern. Jenny Holzer hat mit solchen Mitteln schon intensiv gearbeitet und dabei auch sehr spontane Reaktionen der Passanten registrieren können.

Wie ernst es der Künstlerin mit dem Ausbruch aus der Kunstszene ist, kann man an ihrem anderen Projekt ablesen, das sie mit Stefan Eins am Rande der documenta 7 (in einem Pavillon in der Karlsaue) verwirklicht: Sie produzieren und verkaufen T-Shirts mit von Künstlern entworfenen Motiven, Kunst-Souvenirs und kleine Kunst-Objekte in Auflage.

Mai 1982

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