Erde, Papier und Gips

Die Frage nach den Gründen für die Wahl eines bestimmten Materials ist oft schneller und simpler beantwortet, als man denkt. Auch Abraham David (Jahrgang 1952) verweist auf Äußerliches, wenn er erklären soll, warum er gerade mit Erde, Papier und Gips arbeite: Papier sei billig und auch auf Reisen zu bearbeiten, Erde am jeweiligen Ort in Fülle verfügbar und Gips kostengünstig und bei der Bearbeitung gut kontrollierbar.

Trotzdem ist dies nicht die ganze Antwort. Denn wer mit Wasser angereicherte Erde in aufeinanderpassende Blöcke formt und diese dann in eineinhalb Jahren trocknen läßt, bis sie endlich fertig sind, der denkt nicht nur an Kosten, sondern auch an urgeschichtliche und mythologische Zusammenhänge. Christian lebt in alttestamentarischen Bezügen, eine seiner Erdskulpturen ist nicht zufällig „Adam“ betitelt. Der zum Mensch gewordene Erdklumpen erlebt hier eine neue, skulpturale Wiederbelebung.

Der Schritt von der Erde zum Gips ist nicht sehr groß. Der Gips allerdings erstarrt rasch zum festen Block, aus dem die Formen herausgeschnitten werden können. Bruchstellen sind da ebenso gut berechenbar wie die Ausformung der Strukturen. Die helle, weißliche Gips-Farbe reicht Christian jedoch nicht aus. Er hat den auf der documenta gezeigten Skulpturen noch einen weißen Anstrich gegeben.

Christian hat eine 24teilige Arbeit von Gips-Skulpturen geschaffen, die den Titel „Der heilige Mensch“ trägt. Einige Beispiele aus dieser Reihe zeigt er in der documenta 7. Die einzelnen Skulpturen sind aus mehreren Blöcken gestaltet – aufgebaut, geschichtet und ineinander gesteckt. Sie haben ein sehr klares körperliches Volumen, sind aber nicht im traditionellen Sinne figürlich gemeint. Der Titel, so Christian, verweise eher auf den Betrachter als auf die einzelne Gips-Säule. Glatte, treppenartige und zugleich sehr formbewußte Aufbauten wechseln mit archaisch wirkenden Blöcken, die neben polierten Flächen rohe Bruchstellen aufweisen.

Abraham David Christian, der im Rheinland lebt, aber Wert darauf legt, daß er ebenso in New York, Israel und Italien zu Hause ist, arbeitet direkt im Material. Das heißt, wenn er zeichnet, macht er keine Skizzen und wenn er mit Gips arbeitet, stützt er sich auf keine Entwürfe. Schlüsselproblem ist für ihn die Auseinandersetzung mit der körperhaften, der räumlichen Form. Seine Weigerung gegenüber allzu weiter figürlicher Interpretation entspringt seiner geistigen Nähe zu dem Gebot „Du sollst Dir kein Bildnis machen“. Eine schwarze vierteilige Papierarbeit mit dem Titel „Weisung“ zielt direkt darauf ab: sie hat mit Körpern zu tun, meint diese aber nicht im Sinne der Abstraktion.

Christians Arbeiten wirken auf sich bezogen, sind still und verhalten. Ihr Schöpfer betrachtet sie auch in einer fast konservativen Weise; so will er die Gips-Skulpturen wie hinter einer unsichtbaren Barriere, in Distanz, präsentieren. Besucher der Abschlußveranstaltung der documenta 5 (1972) werden Christian in ganz anderer Weise in Erinnerung haben – da veranstaltete er mit Joseph Beuys ein Schauboxen für die direkte Demokratie.

Mai/Juni 1982

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