Keinen Strich zuviel machen

Es sind einfache, abenteuerliche Geschichten, die Volker Tannert in seinen großformatigen Bildern erzahlt. Beispielsweise wird von einem Einbruch berichtet, bei dem der Einbrecher von den Hausbewohnern überrascht und niedergeschlagen wird. Langgliedrige, schematische Figuren werden zu handelnden Personen; und wie auf naiven Votivtafeln werden zwei aufeinanderfolgende Vorgänge in ein Bild gepackt.

Volker Tannert (Jahrgang 1955), in Recklinghausen geboren und heute in Köln lebend, gehört zum Kreis der Maler, die in den letzten beiden Jahren als die jungen Deutschen Furore gemacht haben. Und manches, was schon klischeehaft über diese neue Generation verbreitet wird, nimmt Tannert selbstbewußt und originär für sich in Anspruch. Etwa, wenn Tannert sagt, daß innerhalb eines Bildes alle Probleme zu lösen seien; oder wenn er meint: „Ich will keinen Strich zuviel machen.“

Tannert hat an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert und dort bei Gerhard Richter (der auch in der documenta 7 vertreten ist) gelernt, daß Malen, um Geschichten zu erzählen, heutzutage tabu sei. Einige Zeit hat sich Tannert auch daran gehalten. So arbeitete er über einen längeren Zeitraum hinweg „wie eine Maschine“ an Piktogrammen, an normierten Bildzeichen. Doch stellte sich, während seines New-York-Aufenthaltes, die Erkenntnis ein, daß es nicht verkehrt sei, Subjekt zu sein und dies auch in der Malerei deutlich zu machen. Das Geschichten-Erzählen setzte ein, das Tabu war gebrochen.

Aus New York brachte Tannert eine Serie von Zeichnungen mit, die er heute noch als Ideen- Lieferanten für Bildmotive nutzt. Meist geht die Skizze dem Gemälde voraus. Und am Ende soll die Malerei so gut sein, daß ihr Thema durchdringt.

Das Faszinierende an dieser jungen Malerei ist die Unbekümmertheit, mit der sie die Formensprache der Kunstgeschichte in Anspruch nimmt. Mit Witz und Eleganz wird das Naive zitiert, mit Kraft wird Bewegung ins Spiel gebracht und ohne Skrupel werden die trivialsten Dinge vorgetragen. Immer wieder stößt man auf schrille Kontraste – bei den Farben oder bei den Figuren (etwa wenn in einer Riesengestalt eine kleine auftaucht).

Volker Tannert war dabei, als im vorigen Jahren mit der Ausstellung „Rundschau Deutschland“ die erste Übersicht über die junge Malerei außerhalb der Ateliers und kleinen Galerien gegeben wurde, und er war auch an der Schau „Zwölf Künstler aus Deutschland“ beteiligt, die kürzlich von Basel nach Rotterdam reiste. Sehr schnell hatten die Künstler ihr Etikett weg und wurden als Gruppe behandelt, obwohl sie nie eine richtige Gruppe gewesen waren. Tannert glaubt auch, daß dieser gemeinsame Start sehr nützlich gewesen sei, daß nun aber die Zeit der Übersichtsausstellungen vorbei sei. Nun müsse man die Unterschiede sehen.

Mai/Juni 1982

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