Kein Spielort in Kassel?

Mit einer für Kassel geschaffenen Opernproduktion sollte Jan Fahre zur documenta 9 kommen. Nun droht das Projekt wegen Raum- und Terminnot zu scheitern.

In den letzten Tagen und Wochen tauschten die documenta-Gesellschaft und das Staatstheater Kassel fast täglich Briefe und Telefax-Botschaften aus. Es wurde gefeilscht, verhandelt und gedroht. Doch allem Anschein nach kommt die Hektik zu spät: Die von dem belgischen Künstler Jan Fabre geplante Opernproduktion „Silent screams – difficult dreams“ (Stille Schreie – schwierige Träume), die in der letzten Juni-Woche zur documenta ihre Uraufführung erleben sollte, ist ernstlich gefährdet. Der Grund: Einerseits braucht das Theater selbst das Opernhaus, weil das Schauspiel wegen Asbest saniert wird, andererseits ist Fabres aus ganz Europa zusammengeholte, 160 Leute umfassende Truppe kaum zu einem anderen Termin in die documenta-Stadt zu bringen.

So denkt documenta-Leiter Jan Hoet jetzt schon darüber nach, ob er die Oper nicht in einer anderen Stadt herausbringen soll, um das 500 000-Mark-Projekt nicht untergehen zu lassen. Am 20. Februar soll noch einmal bei einem Gespräch im hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst nach einem Ausweg gesucht werden. Dieses Gespräch hätte aber bereits im September vorigen Jahres geführt werden müssen. Seitdem sind nämlich die Grundtatsachen bekannt.

Zur Chronologie: Am 17. August vorigen Jahres kamen Jan Hoet und Intendant Michael Leinert überein, das Kasseler Opernhaus vom 21. bis 28. Juni für die Fabre-Oper freizuhalten. Drei Wochen später aber erschreckten Meldungen von Asbest-Funden im Schauspiel das Theater; nun mußte der Spielplan neu auf das Opernhaus – mit zwei hochkarätigen Premieren für Ende Juni – zugeschnitten werden. Der documenta wurde mitgeteilt, der Termin letzte Juni-Woche sei nicht zu halten. Als Ersatz wurde der Zeitraum 29. Juni bis 5. Juli angeboten.

Dieser Ersatztermin wurde mehrfach entschieden von der documenta-Geschäftsführung
abgelehnt, weil Fabres Truppe und insbesondere das aus Rouen kommende Orchester ihrerseits an Ferien und andere Verpflichtungen gebunden seien. Leinert wiederum sah keine Chance zum Einlenken, da er den Abonnenten nicht noch weitere Kürzungen zumuten könne. Als bei einem Gespräch am 29. Januar, an dem auch Fabre teilnahm, die documenta erneut erklärte, ein Ausweichtermin sei nicht zu akzeptieren, entschied sich das Theater, die Ferien (auch für das technische Personal) für die Zeit vom 1. Juli bis 14. August anzusetzen. Jetzt erst begann auf Seiten der documenta die ernsthafte Prüfung, ob der Ersatztermin für Fabre nicht doch zu realisieren sei.

documenta-Sprecherin Claudia Herstatt: „Die Chancen dafür liegen aber nur bei 10 Prozent.“
Leinen wehrt sich dagegen, als der „Depp“ dazustehen, der ein documenta-Projekt verhindert. Ihm sei die Fabre-Oper zwar nie erläutert worden, doch wolle er deren Aufführung ermöglichen. Der von ihm angebotene Ersatztermin stehe nach wie vor, doch sei das Theater dann leer; die benötigte technische Mannschaft müßte angeheuert werden. Dabei wolle er auch behilflich sein. Es sei aber auch möglich, die Fabre-Produktion in der Zeit vom 15. August bis 20. September, in der Schlußphase der documenta, zu zeigen. Doch offenbar können Fabres Leute dann nicht.

HNA 8. 2. 1992

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