Unaufdringliche Fotos

Die künstlerische Entwicklung des Amerikaners James Welling (Jahrgang 1951) schien konsequent von der Fotografie zur Malerei zu führen. Begonnen hatte er 1977 mit einer Foto-Serie, in der er den Aufnahmen aus einem historischen Tagebuch Landschaftsbilder gegenüberstellte. Dann konzentrierte er sich immer stärker auf die Abbildung von Oberflächen und gelangte über Fotos von Aluminium-Folien und Vorhängen zu fast abstrakten Aufnahmen.

Schließlich ging er dazu über, mit Hilfe von beweglichen Plättchen Kompositionen zu entwickeln, die als Fotografien genauso wirken wie als gemalte Bilder. Diese Einsicht führte Welling denn auch zur Malerei – mit zuletzt reinen Farbtafeln. Ein neuer Maler schien geboren.

Aber abrupt wandte sich Welling von der Malerei ab. Denn bald hatte erkannt, daß die (malerische) Abstraktion nur ein Teil des Feldes ist, das ihn fasziniert. Also kehrte er zur Fotografie zurück, deren Wesen für ihn daran liegt, daß sie die Oberflächen(strukturen) der Dinge, die uns umgeben, vermittelt.

Die Foto-Serien, die danach (seit 1986/88) entstanden, erinnern an dokumentarische Aufnahmen. Welling fotografiert historische Architektur und Fassaden und folgt mit der Kamera dem Gleiskörper einer Eisenbahnlinie. Aber er fühlt sich keineswegs als Dokumentarist. Welling will, wie er im Gespräch versichert, nicht die Wirklichkeit dokumentieren. Vielmehr benutzt er die Wirklichkeit, um ihr Bilder zu entnehmen.

Der Fotograf Welling ist das Gegenstück zu einem Touristen, der sich auf Motivsuche begibt. Während der Reisende sich mit Vorliebe auf das ihm Fremde stürzt, konzentriert sich Welling auf das Vertraute. Natürlich macht auch er Schnappschüsse. Doch die Bilder, die er für Ausstellungen auswählt, sind sorgfältig komponiert. Denn wenn sich Welling mit einem Thema auseinandersetzt, dann arbeitet er so, als müßte er es vollständig dokumentieren. Er lotet nicht nur die verschiedenen Möglichkeiten der Fotografie aus, sondern sucht auch seinen subjektiven Zugang zum Motiv.

Zur documenta in Kassel wird er im Ottoneum eine Reihe Aufnahmen von einer amerikanischen Eisenbahnroute zeigen. Es sind stille, unaufdringliche Bilder (in Schwarz-Weiß natürlich), die in die nostalgische Welt von Verkehr und Distanz führen, die darüber hinaus aber auch eigenständig komponierte Bilder mit prägenden Diagonalen sind.

HNA 22. 2. 1992

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