Objekt und Abbild zugleich

„Ich bin ein guter Möbelmaeher“, sagt der Amerikaner Richard Artschwager (Jahrgang 1923) von sich selbst. Uber mehrere Jahre hinweg hat er auch von der Herstellung und vom Vertrieb von Möbeln gelebt.

Noch heute stellt er Möbel her. Doch die Stühle, Pulte und Schränke, die er jetzt anfertigt, ähneln nur annähernd Möbelstücken. Es sind zwar handfeste Gegenstände, die in Form und Oberfläche genau dem Stil der Zeit entsprechen; doch sie sind ihrer Funktion enthoben, sie sind nicht zu gebrauchen. Richard Artschwager strebt genau jenen Punkt an, an dem etwas ein Ding sein kann und seine Abbildung zugleich, an dem sein Werk auf der Kippe steht zwischen Objekt und Bild.

Der Begriff Bild meint in diesem Zusammenhang die Oberflächengestalt. Das heißt: Eine Gesellschaft, die sich mit Möbeln aus Sperrholz, Spanplatten und Resopal einrichtet, soll sich in den, Objekten wiedererkennen, die genau aus diesen Materialien geschaffen sind. Artschwager nähert sich beim Anfertigen seiner Objekte so stark der Realität an, daß viele Betrachter gar nicht erkennen, daß hier die Wirklichkeit nur zitiert wird.

Seit Jahrzehnten schon ist Artschwager auf diesem Felde souverän: Von der handwerklich-praktischen Seite geht er an den Zuschnitt der Möbelobjekte heran. Grundsätzlich benutzt er dabei nur Materialien aus der industriellen Produktion. Er bildet vertraute Formen plastisch nach, formt sie ironisch um und entwickelt irreal-reale Objekte, die einer starken Spannung zwischen konstruktiver
fast abstrakter Form und peinlich-vertrauter Oberflächengestalt (Resopal) ausgesetzt sind.

Mit diesen in den 60er Jahren geschaffenen Arbeiten hat Artschwager für die Kunst einen Weg eröffnet, der von anderen erst in den 70er und 80er Jahren entdeckt wurde. Ihm gelangen präzise Arbeiten, die vollkommen die Balance zwischen Ding und Bild halten. Kein Wunder, daß Artschwa- ger neben Giulio Paolini, Sigmar Polke und Gerhard Richter einer der vier Künst1er ist, die zum fünften Mal an einer documenta teilnehmen.

Während er die Möbel „mit links“ macht, malt er „mit rechts“: Malen ist für Artschwager immer wieder eine Herausforderung, die ihm Überraschungen bereitet. Seine Bilder in ihrer verhaltenen Grau-in-Grau-Malerei (Grisaille-Technik) erinnern an sich verflüchtigende Fotografien. Auch sie nehmen dem Betrachter die Gewißheit. Artschwager führt die Malerei vor, er deutet ihre erzählerischen Möglichkeiten an und er nutzt sie, um den Unterschied zwischen Bild und Objekt zu verwischen.

HNA 27. 2. 1992

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