Schützenhilfe für den Kunstverein

100 Tage vor der documenta-Eröffnung gab Jan Hoet im Kunstverein einen Vorgeschmack auf die Ausstellung.

Den Kasseler Kunstverein verbindet eine besondere Beziehung mit dem künstlerischen Leiter der documenta 9, Jan Hoet. Denn schon bevor das Auswahlverfahren um die documenta-Leitung offiziell gestartet worden war, hatte der Kunstverein 1988 den Genter Museumsdirektor zu einem Vortrag nach Kassel geladen und ihn damit als ernsthaften und vielversprechenden Kandidaten ins Gespräch gebracht. Rund 100 Tage vor Eröffnung der documenta 9 kam Hoet zum vierten Mal als Redner in den Kunstverein und gab einen Vorgeschmack auf die von ihm
vorbereitete Ausstellung.

Doch bevor Hoet ein wenig den Vorhang hob und einige Blicke auf die zu erwartenden Künstlerbeiträge ermöglichte, machte er sich für den Gastgeber, den Kunstverein, stark: Alle Kunstinteressierten in Kassel sollten sich dafür einsetzen, daß der Kunstverein als Nutzer in die documenta-Halle einziehen könne. Schließlich trage der Kunstverein ganz entschieden dazu bei, daß zwischen den documenten die zeitgenössische Kunst in Kassel präsent sei. Ein solcher Umzug, so hatte Kunstvereins-Vorsitzender Prof. Heiner Georgsdorf – eingangs klargestellt, ist aber nicht nur eine Frage des Wollens, sondern auch der Finanzierung.

In seinem Vortrag, den Hoet, wie gewohnt, mit Dias unterstützte, erläuterte er die Struktur der Ausstellung, die sich für ihn aus dem Miteinander der verschiedenen Orte ergibt: Zwehrenturm, Fridericianum, Ottoneum, documenta-Halle, Neue Galerie, Aue-Pavillons, AOK-Treppenhaus und Geschäftshaus am Friedrichsplatz.

Nicht los läßt Jan Hoet die wiederholt gestellte Frage, warum die Nummer 1 der deutschen Malerei, Anselm Kiefer, auf der documenta 9 nicht vertreten sei. War er bei der Pressekonferenz im Januar noch der Argumentation ausgewichen, schob er nun nach: Keiner der jungen Künstler, die in der documenta vertreten seien, beziehe sich auf Kiefer. Aber alle, gleich was sie machten, beriefen sich auf Beuys. Daher werde Beuys im Zwehrenturm gezeigt und nicht Kiefer.

Erneut vermittelte Hoet eine Vorstellung davon, wie viele der Künstler, die er ausgewählt hat und die im Fridericianum ihre Arbeiten zeigen werden, sich mit der Situation der Welt auseinandersetzen, mit der Enge, dem Gefangensein, mit der Gewalt und mit den Befreiungsversuchen. So zieht sich, ohne daß Hoet diesen gesellschaftlichen Bezug ausdrücklich suchte, ein roter Faden von den Ahnen der Moderne – David und Giacometti – bis hin Francis Bacon, Bruce Nauman und Cady Noland.

HNA 7. 3. 1992

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