Himmelsrohr als Blickfang

Die documenta 9 beginnt, im Stadtbild ihre Zeichen zu setzen. Auf dem Friedrichsplatz und in der Aue entstehen die ersten Außenskulpturen.

Zum Blickfang und Symbol der documenta 9 (13. Juni bis 20. September) könnte die Arbeit des Amerikaners Jonathan Borofsky werden, der bereits bei der documenta 7 mit seinen schwarzen Hammermännern Aufsehen erregt hatte. Borofsky hat für den Friedrichsplatz eine Großskulptur entworfen: Ein 25 Meter langes Stahlrohr (Durchmesser: 50 cm) wird im Neigungswinkel von 65 Grad in den Himmel weisen. Das Rohr soll auf den Portikus vom ehemaligen Roten Palais (am Kaufhaus Leffers) ausgerichtet werden. In zwei Drittel Höhe soll auf dem Rohr eine
himmelwärts schreitende Figur aus Fiberglas montiert werden. Am 30. April soll die Aufstellung erfolgen.

Gestern war bei der Stahlbaufirma Lamparter in Bettenhausen Generalprobe:
Das 25 Meter lange Stahlrohr wurde probeweise aufgerichtet. Möglich war das, weil die Firma für den Künstler ein transportables Fundament entwickelt hat, um zu gewährleisten, daß die Arbeit auch andernorts gezeigt werden kann. Das Fundament besteht aus einem Kreuz aus Stahlträgern, das waagerecht in den Boden versenkt wird. Die Stahlträger ihrerseits werden an drei Enden von Betonwürfeln gehalten, die auch vorgefertigt sind und ebenfalls in den Boden eingelassen werden.

Lamparter-Geschäftsführer Adolf Wagner meinte gestern, die technische Herstellung der Konstruktion habe weit weniger Probleme gemacht als die Spitzhacke, die 1982 dort für Claes Oldenburg angefertigt wurde. Probleme hingegen bereitet der Friedrichsplatz selbst: Die ausgehobene Erde muß wegen der Dioxin-Belastung zwischengelagert werden und bei den Gründungsarbeiten stieß man gestern erneut auf ein Hindernis. Nachdem man den ursprünglichen Standort aufgegeben hatte, weil man beim Graben auf Reste der Stadtmauer gestoßen war, entdeckte man nun beim Buddeln eine Leitung, die in keinem Plan verzeichnet ist. documenta-Leiter Jan Hoet: „Wenn wir noch einmal umplanen müssen, wird der Platz immer beliebiger.“

Unbeeindruckt von der Dioxin-Belastung des Platzes arbeitet in der Ecke zum Steinweg hin Mo Edoga aus Nigeria. Er hat um sich Treibhölzer und Baumteile versammelt, die er bearbeitet. Seine stille handwerkliche Arbeit aber scheint manche Leute herauszufordern. Der Schwarzafrikaner, der in Mann heim lebt und sehr gut Deutsch versteht, berichtet von wiederholten handfesten Beschimpfungen aus Autos, die an der Ampel halten müssen.

Unmittelbar vor dem Museum Fridericianum (hinter den beiden Beuys-Bäumen)
entsteht der Beitrag des Koreaners Keun Byung Yook: Er hat eine kegelförmige Skulptur entworfen, die sich nach außen fast total verschließt und lediglich zum Fridericianum hin einen Monitor sichtbar werden läßt, aus dem ein großes Auge blickt. Dieses Auge schaut auf ein anderes, das ein Monitor präsentiert, der in eine Säule eingelassen ist, die vor die Säulenfront des Fridericianums gestellt wird.

Auf den Friedrichsplatz werden außerdem Arbeiten von Pedro Cabrita Reis (Portugal) und Anish Kapoor (Großbritannien) kommen. Im Innenhof des Fridericianums ist im Rohbau bereits der Bau von Ilya Kabakov fertig.

Der Japaner Tadashi Kawamata, der bei der vorigen documenta die Ruine der Garnisonkirche, mit einer weitläufigen Holzkonstruktion ausgefüllt und eingerüstet hatte, errichtet für die kommende documenta eine Reihe kleiner Slum-Hütten in der Aue (an der „Kleinen Fulda“). In das weitere Gelände der Aue soll später noch ein Schilderwald von Rober Racine locken.

Sichtbar ist mittlerweile auch, daß der Italiener Michelangelo Pistoletto in das ehemalige Pelzhaus am Friedrichsplatz eine vielschichtige Installation eingebaut hat. Im Innern wird sich das gegenüberliegende Fridericianum spiegeln, so daß der unmittelbare Bezug zur Ausstellung hergestellt wird.

HNA 25. 4. 1992

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