Vorhang auf und zu

Ein wenig erinnert die Situation an die Zeit vor Weihnachten: Jan Hoet bereitet die große Überraschung vor und ist hin- und hergerissen von seinen Gefühlen und der Begeisterung über die Arbeiten, die er präsentieren will. Einerseits will er den Vorhang so lange und so dicht wie möglich geschlossen halten, auf daß dann der große Coup gelingen möge. Andererseits aber läuft ihm das Herz über und so möchte er am liebsten allen alles erzählen – zumal jetzt, da an den verschiedenen Orten bereits die ersten Werke entstehen.

Also zieht er immer fast gleichzeitig den Vorhang auf und zu. Was heute noch das große Geheimnis bis zum 13. Juni ist, kann morgen schon das plastische Beispiel für die Vorberichterstattung sein.

Für das Publikum wirklich geschlossen (bis zur documenta-Eröffnung) sind mittlerweile einige Räume und Raumfolgen in der Neuen Galerie. Hier installieren 14 Künstler im Dialog mit der Sammlung dieses Museums ihre Arbeiten. Derzeit baut in dem Impressionisten-Raum der in Kassel lebende Künstler Kazuo Katase seinen Beitrag auf, der eine Beziehung zwischen Kunstbetrachtung, Kunstzerstörung und Wirklichkeit herstellt. Die Galerie- Besucher müssen nun also auf das Studium einiger Sammlungsteile verzichten, doch es bleibt noch genug zu sehen.

Überhaupt geben sich derzeit die internationalen Künstler in Kassel die Klinke in die Hand. Es geht aber nicht mehr bloß um Ortsbesichtigung, sondern es wird an Ort und Stelle schon konkret an den ersten Projekten gearbeitet. Hier trifft man Michelangelo Pistoletto, dort Rainer Ruthenbeck, und zwischendrin schaut Harald Klingelhöller herein, verwundert, daß die Atmosphäre gar nicht so hektisch wirke. Hoet weiß, wieso der Eindruck entstehen kann: „Es ist alles gut vorbereitet.“

Es ist noch nicht lange her, daß die documenta-Pressestelle verkündete, Prof. Bazon Brock werde wieder eine Besucherschule inszenieren. Viermal die Woche werde er im tif auftreten und den Besuchern die Kunst erklären. Brock, von uns nach Details seiner Planung befragt, meinte aber, daß aus dem Projekt nichts werde: Er habe zwar Bertelsmann als Sponsor für die Besucherschule gewinnen können, doch habe das Unternehmen nur dann ein Interesse daran, wenn es auch eine begleitende Publikation herausgeben könne. Die Lizenz dafür will die documenta-Gesellschaft aber nicht erteilen, weil sie ihr eigenes Publikationspaket aus Katalogen, Kurzführer und Begleitbänden erfolgreich auf dem Markt plazieren will. Wird die documenta am Ende zum reinen Geschäft?

HNA 3. 4. 1992

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