Abrufbarer Bilderfundus

Er nennt sich selbst einen der letzten DDR-Flüchtlinge und er ist einer der wenigen Künstler des ehemaligen Ostblocks, die in dieser documenta vertreten sein werden. Via Lewandowsky, 1963 in Dresden geboren, hat seit seiner Flucht im Sommer 1989 eine steile Karriere in der internationalen Kunstszene geschafft. Sein Aktionsfeld liegt zwischen Berlin und New York, seine Bildideen faxt er quer über die Kontinente, und seine Werkstatt setzt die Konzepte weitgehend um.

Via Lewandowsky ist – in gewisser Weise – ein Konzept-Künstler, einer der über einen riesigen, jederzeit abrufbaren Bilderfundus verfügt, mit dessen Hilfe er Projekte so detailliert ausarbeitet, daß er die Ausführung seinen Mitarbeitern überlassen kann. Die Frage nach der künstlerischen Handschrift hält er für abwegig. Doch sein Vorbild ist kein Ideenkünst1er, sondern der Dadaist und Surrealist Max Ernst. Von ihm nämlich hat er die Idee übernommen, bei der Komposition von Bildern auf historische (naturwissenschaftliche) Stiche zurückzugreifen.

Nur hat Lewandowsky gegenüber Ernst, der die Stiche für Collagen, Montagen und Frottagen nutzte, die Idee radikalisiert. Er kopiert Zeichnungen aus alten medizinischen Büchern, vergrößert sie, schneidet sie auseinander, kopiert sie neu, fügt andere in der Kopie wieder zusammen und schafft sich so einen unendlichen Formenvorrat mit immer gleicher Binnenstruktur. Bildtafeln mit Motiven aus diesem Fundus wird Lewandowsky in den Treppenhäusern des Fridericianums zeigen. Die Bilder mit den sie begleitenden „Phrasen“ sind, wie wir bereits ausführlich dargestellt haben, aber nur ein Teil von Lewandowskys documenta-Beitrag. Die beiden anderen Teile plaziert er als Installationen auf dem Theaterdach und im Ehrenmal.

So spielerisch und respektlos Lewandowsky mit den Bildformen umgeht, so ernsthaft, exakt und politisch-historisch durchdacht plant er seine Installationen. Sein Projekt für das Ehrenmal ist ein Beweis dafür.

HNA 20. 5. 1992

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