Er liebt das Große, vielleicht weil er selbst groß ist, vielleicht aber auch, weil sich seine Arbeiten zwischen Traum und Sehnsucht bewegen. Als der Amerikaner Jonathan Borofsky (Jahrgang 1942) 1980 erstmals in der Biennale in Venedig dabei war, ließ er einen überdimensionalen Urmenschen über die Wände eilen. In der Kasseler documenta 7 schwangen seine fünf Meter großen Hammermänner ihre Werkzeuge in der Neuen Galerie. Und nun, zur documenta 9, konnte er mit seiner Skulptur Man walking to the sky – eine bemalte Fiberglasfigur, die auf einem silbernen Stahlrohr himmelwärts wandert – das Zeichen auf dem Kasseler Friedrichsplatz setzen.
Spricht man mit Borofsky, dann ist man überrascht, wie verhalten und poetisch er von den Dingen redet. Man merkt schnell, daß der Hang zur Größe nicht mit Selbstüberheblichkeit zu tun hat, sondern eher mit der Abarbeitung von Zweifeln, Albträumen und negativen Einstellungen.
Doch wie viele andere Künstler will Borofsky keine Moral predigen, keine Lösungen präsentieren. Er sucht vielmehr den Punkt, an dem die Balance möglich wird, an dem offen bleibt, wie die Geschichte ausgeht. Wie sieht das zum Beispiel beim Hirnmelswanderer aus? Der Mann schreitet kräftig aus. Er wirkt so, als könne ihn nichts aufhalten. Doch wird er den Himmel erreichen oder wird er zurückfallen oder gar am Ende des Rohrs abstürzen? Borofsky legt sich nicht fest.
Jonathan Borofsky stammt aus einem Elternhaus, in dem er frühzeitig mit Kunst in Berührung gebracht wurde. In seiner eigenen Arbeit verstand er es, zwei gegenläufige Haltung miteinander in Verbindung zu bringen. Auf der einen Seite wandte er sich der strengen Konzept-Kunst zu, andererseits begann er, Traumbücher zu führen, in denen er seine Traumbilder niederschrieb. Immer dort, wo sich die beiden Stränge kreuzten, entwickelten sich Impulse für sein Schaffen.
Der Plan für den Himmelswanderer war fertig, bevor Borofsky nach Kassel eingeladen wurde. Als er dann an die Umsetzung ging, ahnte er noch nicht, daß Thomas Schütte seine bunten Figuren auf dem Portikus an der Leffers-Wand plazieren würde. Jetzt findet er es gar nicht schlecht, daß sich ein Dialog zwischen den beiden Arbeiten entwickelt.
HNA 16. 5. 1992