Am und über dem Fluß

Jan Hoets Projekt „3 Flüsse – 3 Räume“ zur Expo 2000 in Hann.Münden

Es ist wie ein Traum von der alten Zeit oder wie das in den Raum projizierte Gedankenbild: Leicht und unwirklich schwebt über einem Arm der Werra – kurz vor ihrer Vereinigung mit der Fulda zur Weser – eine filgrane Drahtbrücke. Oben auf dem Brückenbogen ist die Silhouette einer Frau in einem weiten Kleid zu erkennen. Sie scheint aus der historischen Altstadt von Hann.Münden in die neue Zeit, ans andere Ufer zu wechseln und mittendrin innezuhalten. In der Dunkelheit markieren winzige Glühlämpchen den Brückenverlauf, ohne daß sie die Umrisse deutlich erkennen lassen. Dadurch daß die 14 Meter lange und 40 Kilogramm schwere Brücke (aus Sicherheitsgründen) über der Werra hängt und nicht an den Uferböschungen verankert ist, wirkt sie wie eine Fata Morgana. Die Tatsache, daß schon von der oberhalb gelegenen Steinbrücke aus die Drahtbrücke kaum noch zu erkennen ist, verstärkt den Eindruck.

Der in New York lebende Ilya Kabakov (Jahrgang 1933) hat die heiter-beschauliche Brücke als ersten Beitrag zu dem für die Stadt Münden äußerst ehrgeizige Projekt „3 Flüsse – 3 Räume“ geschaffen, das als ein künstlerischer Beitrag zur Expo 2000 in Hannover gedacht ist. Wiederholt hatte die Stadt, die aufgrund ihrer Lage am Zusammenfluß von Fulda und Werra und durch ihre Fachwerkbauten berühmt ist, Anläufe unternommen, auch der zeitgenössischen Kunst Raum zu bieten. Das bislang größte Projekt wurde 1992 parallel zur Kasseler documenta von Jan Hoet mit einer Ausstellung der Gruppe „Stoffwechsel“ („Begegnung mit den anderen“) realisiert. Nun aber gelang es der Stadt Hann. Münden den Genter Museumsmann Hoet selbst für ein Vorhaben zu gewinnen, das weit über die Region hinaus bedeutsam werden könnte. Das Kunstprojekt ergänzt den offiziellen Mündener Expo-Beitrag „Wasserspuren“.

Hoet ließ sich vom Charme der Stadt begeistern und schaffte es seinerseits, die Verwaltung und die Bürger von seinen Visionen zu überzeugen. Rund zwei Millionen Mark soll das mehrstufige Projekt kosten. End- und Zielpunkt ist eine Ausstellung im Expo-Sommer in dem historischen Packhof, bei der in allen Medien der Kunst gespiegelt werden soll, was Künstler heute zum Thema Wasser zu sagen haben. Doch bereits auf dem Weg dorthin will Hoet in Zusammenarbeit mit 18 internationalen Künstlern Skulpturen im Uferbereich von Fulda , Werra und Weser verwirklichen. Dabei soll eine allmähliche Steigerung erfolgen: Für 1998 waren die drei ersten Arbeiten geplant, 1999 sollen sechs und im Jahr 2000 neun weitere folgen.

Ähnlich wie Hoet ließ sich Kabakov spontan von dem Flair der Fachwerkstadt gefangen nehmen. Seine „alte Brücke“ kommentiert auf ironische Weise den so starken Vergangenheitsbezug der Stadt; und gleichzeitig bekräftigt sie ihn. „Kunst muß auch witzig sein“, meint er. Zur documenta IX hatte er in den Hof des Museums Fridericianum ein russisches Toilettenhaus gestellt, das sich im Innern als Wohnraum entpuppte. Diese Arbeit gehört jetzt dem Genter Museum. Die Idee zu der Brücke als einer Verbindung von Vergangenheit und Zukunft kam Kabakov unmittelbar an dem Ort, an dem sie schwebt. Die feierliche Übergabe auf der Insel „Doktorwerder“ erfolgte, als sich Kabakov auf dem Weg nach Goslar befand, um dort den Kaiserring entgegenzunehmen.

Der dritte Beitrag wurde 1998 nicht mehr fertig. Micha Ullmann, mit dem Hoet ebenso wie mit Kabakov bei der documenta IX zusammengearbeitet hatte, war zwar schon zur Ortsbesichtigung da, doch erfolgt die Realisierung erst Anfang 1999. Zwischen den beiden etablierten Künstlern engagierte Hoet als zweite eine Neuentdeckung. Die ebenfalls in New York lebende Bildhauerin Bonnie Collura (Jahrgang 1970) hatte voriges Jahr gerade ihre erste Einzelausstellung, außerhalb der Staaten war sie vorher noch nicht vertreten. Die junge Künstlerin steht zwar in der Tradition des Realismus, ist auch von der Welt der Mythen und Märchen gepackt, weiß aber auch um die Brüchigkeit und Abnutzungserscheinungen der Tradition. So spielt sie in ihren Skulpturen mit den Realitätsebenen und sucht gezielt Verfremdungen.

„Triad“ (Dreiheit) nennt Bonnie Collura ihre für Hann.Münden entworfene Skulptur, deren hellblaue Autolackfarbe ganz unmittelbar den Bezug zum Wasser herstellt und dabei eine bewußt kitschige Wirkung (inmitten des Grüns und vor der Altstadtkulisse) hervorruft. Mit ihrer Arbeit hat sie ein Gegenstück zum Weserstein entwickelt, ein plastisches Bildwerk, das zum Symbol für die Drei-Flüsse-Stadt taugt. Es handelt sich um eine aus drei Elementen zusammengesetzte und in drei Ebenen untergliederte Skulptur, die auf der Insel „Tanzwerder“ die drei Flüsse symbolisiert: Vor einem angedeuteten mittelalterlichen Mauerbogen sieht man eine sich nach vorne beugende doppelgesichtige Frau, deren Armstümpfe wie ein Kreuz ins Leere weisen. Ihre beiden von ihr gelösten Hände halten auf der mittleren Ebene zwei ausgießende Bottiche (die für Fulda und Werra stehen). Und unten am Boden liegt – mit dem Kopf über einer Schale, in der sich Wasser sammeln kann – eine andere Frauenfigur, die die Weser verkörpert.

Die Erzählweise der Skulptur ist nicht so eindeutig, wie es in der verkürzenden Darstellung klingt. Die Übergänge sind fließend und die Formen vielfältig und widersprüchlich, so daß etwas Unaufklärliches bleibt. Trotzdem verbindet die beiden ersten Beiträge zu Jan Hoets Skulpturenprojekt die Ortsbezogenheit und Lesbarkeit. Die Arbeiten haben etwas Heiter-Illustratives und bieten auch dem kunstfernen Publikum Dialogebenen an. So gewinnt das Projekt dort auch sicheren Boden. Man spürt die poetische Kraft, die Jan Hoet beschworen hat. Es ist aber auch nicht zu übersehen, daß schon die beiden ersten Arbeiten die im Stadtgebiet stehenden Plastiken ironisieren und den Auftakt zu einem Skulpturenpark im spitzen Winkel des Flüssedreiecks bilden.

November 1998

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