Die Inflation eines Mediums

Spiegelscheiben als Mittel der Kunst in Venedig

Vor dem amerikanischen Pavillon liegen zwillingshaft in unmittelbarer Nachbarschaft zwei runde flache Steinbecken, die mit Wasser gefüllt sind. Wer in den Pavillon hinein will, muss um sie herumgehen. Sie versperren den direkten Zugang, heben sich zugleich aber selbst auf, weil die beiden kreisrund eingegrenzten Wasserbecken als Spiegel funktionieren. Man sieht in ihnen sich einen Teil des amerikanischen Pavillons abbilden, Baumkronen aus dem Umfeld werden sichtbar und – je nachdem, wie nah man herantritt – Partien des Himmels.
Die USA präsentieren in der 52. Biennale von Venedig den aus Kuba stammenden Künstler Gonzales-Torres (1957-1996), dessen vor dem Pavillon platzierte Steinarbeit vergleichsweise konventionell wirkt im Vergleich zu dem Rechteck aus Bonbons und zu den von der Decken auf den Boden herabhängenden Kabeln mit den leuchtenden Glühbirnen. Die spiegelnden Wasserflächen sind für sich perfektionierte Form, sie weisen aber auch auf den zurück, der in sie hineinschaut. Die Oberflächen öffnen sich zur Welt und bilden sie ausschnitthaft ab.
Mag sein, dass der Spiegeleffekt für manche Besucher nicht so einprägsam ist. Doch er ist nicht zufällig, wie eine andere Arbeit von Gonzales-Torres in der Zentralausstellung im Italienischen Pavillon beweist. Dort sind von ihm zwei rechteckige Spiegel (Untitled – Orpheus, Twice) zu sehen, die ebenfalls als ein Zwillingspaar installiert und die direkt an der Fußbodenkante angesetzt sind. Sie sind an der gegenüberliegenden Seite des Zugangs so angebracht, dass man automatisch in sie hineinschaut, wenn man die Treppe erklommen und den im Eingang hängenden Vorhang beiseite geschoben hat.
Der doppelte Spiegel (man kann auch sagen: der geteilte Spiegel) gestaltet Bildpaare. Je nach Standort und Blickrichtung zeigen sie den Raum und einige der in ihm installierten Werke oder die Besucher, die auf der Suche nach der Kunst sind. Ganzales-Torres konnte den Raum nicht selbst gestalten. Aber seine Erbverwalter zielen auf eine klare Aussage: Die letzte Antwort des Künstlers ist kein willkürlicher Entwurf, sondern der Rückbezug auf das, was längst da ist, was wir aber eher nicht oder kaum wahrnehmen. Ganz im Sinne von Orpheus ist der Doppelspiegel ein Sinnbild für die Flüchtigkeit der Erscheinung und die Ewigkeit des mythischen Bildes.
Die Arbeit von Gonzales-Torres nimmt eine Traditionslinie der Kunst schnörkellos auf. Sie verklärt nicht Teile eines größeren Werkkomplexes, sondern verweist die Eintretenden auf die eigene Lebenswelt. Dergleichen machte schon Gerhard Richter, als er in einer Retrospektive die Möglichkeiten des Bildes vorführte. Am konsequentesten arbeitete Michelangelo Pistoletto mit dem Spiegel, indem er Bilder von Personen so auf die Spiegelfläche klebte, dass man als Betrachter Mühe hatte, sich zu orientieren und das eigene Bild einzuordnen.
Nun ist das Spiegelmotiv etwa in der Malerei oder Fotografie eines der beliebtesten Themen überhaupt. Nicht nur, weil es die Eitelkeit verdeutlichen kann, sondern weil der Spiegel im Bild wie ein Türöffner für sonst verschlossene Räume wirkt. Beispielsweise kann mit Hilfe des Spiegels die von hinten dargestellte Person auch von vorne gezeigt werden, oder es kann das Bild eines Raumes eingefangen werden, der hinter dem Maler oder Fotografen liegt. Kein Wunder, dass das Mittel immer wieder aufgegriffen wird.
Was in diesem Jahr aber irritiert, in wie großer Zahl Künstler und Ausstellungsmacher (das gilt ja auch für die Beiträge von Gonzales-Torres) den Spiegel als Arbeitsmittel nutzen. Die Inflation dieses Mediums bekommt ihm nicht gut. Vor allem hat man gelegentlich den Eindruck, als solle der Spiegel mit seinen vervielfachenden und auch brechenden Effekten eine als ungenügend erscheinende Installation perfektionieren.
Dieses Gefühl beschleicht einen im deutschen Pavillon, in dem Isa Genzken mit einer Fülle konträrer Elemente gearbeitet hat („Oil“). Die scheinbare Baustelle mit ihrem Gerüst und dem Netzvorhang entpuppt sich im Innern als ein durchaus intaktes Gebäude, in dem allerdings die Installation mit ihren Koffern, Puppen und Tieren in Einzelelemente zerfällt. Die eingesetzten Spiegelflächen, die eine Art Irrgartenwirkung entfalten, fügen allerdings nicht das Gesamte zu einem Bild zusammen, sondern erscheinen wie eine aufgesetzte Idee. Die Spiegel schaffen zusätzliche Raumbilder, aber keine neuen Reflexionsebenen.
Es ließe sich leicht Ähnliches zu der Arbeit von David Altmejd im benachbarten kanadischen Pavillon bemerken („The Other Side of the Looking Glass“). Es ist, als würde dort zugespitzt, was im deutschen Pavillon angedeutet wird. Denn als Besucher fühlt man sich in einen alptraumhaften Zauberwald versetzt, in dem die Grenzen zwischen den Menschen, Tieren und Naturerscheinungen aufgehoben sind. Es ist eine ebenso bedrohliche wie abenteuerliche Welt, in die man blickt, in der alles zu zersplittern scheint. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass im kanadischen Pavillon die kleinen und großen Spiegelflächen integrale Bestandteile der Installation sind und die zuweilen unheimliche Verzauberung verstärken. In diesem Fall ist zu sagen, dass ohne die Spiegelelemente die Arbeit kaum funktionieren würde.
Im Jahr 2002 hatte Ken Lum anlässlich der Documenta 11 in der Karlsaue in einen Spiegelpalast, der als Irrgarten angelegt war, gelockt. Wenn man dieses Jahr nun im belgischen Pavillon durch einen sehr ähnlichen und trotzdem nicht so aufregenden „Palace of Mirrors an Discoveries“ wandern soll, dann stellen sich Überdruss und Ermüdung ein. An „Discoveries“, Entdeckungen, ist da nicht zu denken.. Die Arbeit von Eric Duyckaerts wirkt so, wie sie ist – als eine schwache Wiederholung vertrauter Räume. Das gilt auch unter der Voraussetzung, dass selbstironische Kommentare per Video eingestreut werden.
Allmählich erschöpft sich das Medium. Und eigentlich hat man von den Selbstbespiegelungen genug, wenn man den Pavillon von Lettland im Stadtgebiet betritt und sich plötzlich einem „Beauty Mirror“ gegenübersieht. Selbst wenn man bedenkt, dass Gints Gabrans mit der Arbeit eine Verbeugung vor Venedig und dessen Kunst, Glas und Spiegelflächen in der Form herzustellen, dass die Erscheinung und die Haut des Gespiegelten veredelt werden, fällt es schwer, der Arbeit ihren Wert abzugewinnen. Die feierliche Inszenierung fällt in sich zusammen.
Das gilt dann auch, wenn man die von Jill Mercedes gestalteten Räume im Beitrag von Luxemburg betritt. Die Künstlerin liefert die Besucher den nackten Räumen aus. Sie sollen auf die Ausstattung der Zimmer, auf die Wände, die Licht- und Schattenzonen und die Fußböden mit den Assoziationen reagieren, die sie normalerweise haben. Da kommt es sehr auf den Aufnahmegrad bzw. die Ermüdung der Besucher an, ob und wie sehr sie bereit sind, sich darauf einzulassen. Auch hier stößt man wieder auf Spiegelwände. Im ersten Moment reagiert man abwehrend darauf. Allerdings haben hier die Spiegel wieder verstärkenden Charakter. Sie erklären zwar nichts, aber durch ihre Verdoppelung des Raumbildes machen sie dieses unausweichlich. Man muss sich ihm stellen.
Die Spiegel-Welle hat auch die documenta in Kassel erreicht. Dort sind es nicht nur Künstler wie Dias & Riedweg oder John McCracken, die mit Spiegeleffekten arbeiten, sondern auch die künstlerische Leitung: Im Fridericianum empfangen Roger Buergel und Ruth Noack die Besucher in der Eingangshalle mit einem Spiegelkabinett, das natürlich zur Selbstbefragung der Besucher einlädt. Es wird hier allerdings auch klar, wie stark sich kuratorische und künstlerische Anteile gegenseitig Konkurrenz machen. Die bronzenfarbene Spiegelsäule von McCracken jedenfalls geht in diesem Raumzusammenhang unter.

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