Gemeinsame Sache

„Gemeinsame Sache“ – Neun Künstlerinnen

Kasseler Kunstverein 5. 3. – 3. 5. 2009

Wird eine Themen- oder Gruppenausstellung organisiert, müssen die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler gemeinsame Sache machen. Nicht immer wird daraus ein wirklich gemeinschaftliches Unternehmen. Denn häufig bleibt es die Aufgabe der Vermittler, die notwendigen Brücken zu schlagen oder Gegenpositionen herauszuarbeiten. Und wenn die Beteiligten Glück haben, dann helfen die Konfrontationen, die unterschiedlichen Haltungen deutlicher zu machen.
Jetzt lässt der Kasseler Kunstverein eine Gruppenausstellung unter dem Motto „Gemeinsame Sache“ laufen. In diesem Fall ist mit der Wahl des Titels nicht bloß das Zusammenführen verschiedener künstlerischer Positionen gemeint. Genauso wichtig ist die Zusammenarbeit der drei Kunstvereins-Vorstandsmitglieder Werner Demme, Meinrad Ladleif und Jürgen O. Olbrich, die jeweils drei der ausstellenden Künstlerinnen ausgewählt haben. Ihnen ist ein Kompliment zu machen: Die Ausstellung wirkt, als sei sie aus einem Guss. Dabei überrascht, wie stark die malerischen Positionen sind, auch wenn in dem einen oder anderen Fall viel Ironie im Spiel ist.
Namenspatroninnen der Ausstellung könnten Henrieke Ribbe (Jahrgang 1979), Ergül Cengiz (Jahrgang 1975) und Kathrin Wolf (Jahrgang 1974) sein, die seit 2004 als die „3 Hamburger Frauen“ zusammenarbeiten. Sie lieben es, zu zitieren und die unterschiedlichsten künstlerischen Stilmittel zu verschmelzen. Sie bringen sich meist selbst in Positur, um mit Hilfe ihrer wechselnden Verkleidungen und Rollen Träume zu beschwören und die Stilmittel der Kunst zu thematisieren.
Gleich in der Eingangszone des Kunstvereins (im Museum Fridericianum) stößt man auf ein Foto, auf dem sie sich selbst darstellen: „3 Hamburger Frauen im Hämelerwald“. In der Art und Weise, wie sie sich mit Stock und Hut sowie mit ihrer Kopf- und Armhaltung in der freien Natur dem Fotografen stellen, gestalten sie das Foto haargenau nach, das August Sander 1914 von den drei „Jungbauern auf dem Weg zum Tanz“ machte und das zu einem Schlüsselbild der fotografischen Sachlichkeit werden sollte. Die „3 Hamburger Frauen“ zitieren dieses historische Motiv, aber parodieren es auch. Denn eben so lässt sich die Wirklichkeit nicht mehr abbilden.
Das Foto liefert den Rahmen für das zentrale Werk der drei Künstlerinnen. Wie in vielen ihrer Ausstellungsstationen haben sie im Kasseler Kunstverein eine riesige Wandmalerei hinterlassen, die magisch-ornamental wirkt und die in sich eine vielschichtige Auseinandersetzung mit figürlicher und abstrakt-konstruktiver Malerei enthält. Gleich dreifach tauchen die drei Frauen wie Spielkartenmotive in dem Gemälde auf. Als Betrachter ist man fasziniert, angezogen und zurückgestoßen. Man verirrt sich im Vexierbild und freut sich über die Malerei, die sich nicht ernst nimmt und trotzdem ernsthaft bleibt.
Eine andere extreme Position innerhalb der Malerei bezieht Ellen Jacoby (Jahrgang 1973). Sie ordnet den einzelnen Farbtönen Geschmacksrichtungen zu. Auf diese Weise entsteht ein völlig neuer, fein differenzierter Farbkreis, in dem man beispielsweise ablesen kann, welche Farbunterschiede zwischen getrocknetem Pfirsich und kandierter Orange bestehen. Pseudo-wissenschaftliche Analysen mischen sich mit spielerischen Elementen – wenn etwa Ellen Jacoby Speisenfolgen in den süßlich-bunten Farben ihrer Theorie malt. Das Zentrum ihrer mehrteiligen Arbeit bildet eine rotierende runde Scheibe, auf der sich große Holzbuchstaben zu einem Text zusammenfügen, der die Bildfarben mit Glasur und Zuckermantel gleichsetzt. Darüber hängt ein dichter Kranz von gläsernen Kugeln, aus der die zuckersüßen Farben auf die Holzbuchstaben und die Scheibe tropfen und diese in allmählich in eine bunte Torte verwandeln.
Die Arbeiten der „3 Hamburger Frauen“ und von Ellen Jacoby besetzen Außenseiterpositionen. Die Werke der anderen Künstlerinnen verbinden sehr stark inhaltliche Bezüge. Sie haben alle etwas mit dem Lebens- und Wohnraum zu tun. Am direktesten führt das Susanne Bayer (Jahrgang 1960) vor, die auf der Grundlage eines Architektenhandbuchs einen Modellraum gebaut hat. Zauberhafte schematische Figurenzeichnungen auf Transparentpapier erläutern, worum es bei dem labyrinthischen Raumgefüge geht: Wie breit muss ein Gang sein, damit sich zwei Personen begegnen können oder einer seine Ellenbogen nach außen stemmt? Zur Absurdität werden die Figurenstudien, wenn ein Mann mit seinem Körper einen rechten Winkel bildet und damit zwischen den Wänden eingeklemmt wird. Dank der gezeichneten Körperstudien gewinnt der Raum eine eigene skulpturale Qualität.
Ein Gegenpol dazu sind die im selben Raum präsentierten 84 Textilcollagen von Wendy Toogood (Jahrgang 1947) die in tagebuchartiger Erzählweise von einem Umzug berichten. Die comichaften Nähbilder geben sich roh und derb, bringen aber die Dinge pointiert auf den Punkt. Diese starke Wandarbeit trägt entschieden dazu bei, dass in der Ausstellung das Malerische zu dominieren scheint.
Zwischen der Zeichnung und der Malerei sind die Werke der Amerikanerin Joan Mathews anzusiedeln. Die Bilder wirken erst einmal wie freie Kompositionen. Doch spürt man bei intensiverer Betrachtung die in der Malerei steckenden plastischen und architektonischen Vorstellungen. Sie umkreisen auf souveräne Art Haus- und Stadtstrukturen in amerikanischen Städten. Doch die freie Assoziation behält die Oberhand.
Den stärksten bildhauerischen Akzent setzt die Schweizerin Diana Dodson (Jahrgang 1963). Aus altmodischen, von innen erleuchteten Lampenschirmen baut sie frappierende Skulpturen. Diese Objekte erinnern ganz unmittelbar an das Wohnen in alten Zeiten und zugleich verkörpern die Arbeiten konstruktive plastische Formen, wie sie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelt wurden. Auf diese Weise vereinen die Skulpturen in sich zwei gegensätzliche Welten – Gelsenkirchner Barock und die strengen Prinzipien der Moderne.
Auch die Schweizer Fotokünstlerin Andrea Loux (Jahrgang 1969) zitiert. Ihre digital hergestellten und manuell überarbeiteten Bilder versetzen die Betrachter zurück in die 50er- und 60er-Jahre. Diese Interieurs, die auch aus der Welt des frühen Richard Hamilton stammen könnten, führen uns die Wohnwelt vor, wie sie gerne in Zeitschriften idealisiert wurde: Die elegant gekleidete Frau hat nichts anderes zu tun, als den perfekt eingerichteten Raum zu schmücken und ihn mit Leben zu erfüllen. Doch in allen acht Fotos sieht man, dass ein paar Männerbeine dunkel und rätselhaft in die Szene hineinragt. Die Eleganz und Perfektion sind mithin zerstört. Ähnlich wie in dem 60er-Jahre-Kultfilm „Blow up“ dringen Unruhe und Ungewissheit in die Sphäre ein. Das spielerische Element ist in diesen Fotos allerdings nicht so stark und vielschichtig wie etwa in den Arbeiten der „3 Hamburger Frauen“.

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