Unterhaltung und Aufklärung

„Looking at you“ – Kunsthalle Fridericianum, Kassel, 12. August bis 30. September

Videoarbeiten und –Installationen sind heute feste Bestandteile aktueller Kunstausstellungen. Das registriert man nicht nur mit Begeisterung. Denkt man beispielsweise an die diesjährige Biennale in Venedig und speziell an das Arsenale, dann hat man eine Ausstellung vor Augen, in der man als Besucher keinen rechten Rhythmus beim Durchlaufen der lang gestreckten Halle findet und in der man Frustrationen sammelt, weil man am Ende das Gefühl hat, man habe einigen Bildern und Skulpturen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, während man in einigen Videoräumen übermäßig viel Zeit verbringen musste, bis man herausfand, dass sich der Einsatz nicht lohnte. Das heißt, dass man oft genug für solche Ausstellungen nicht das richtige Zeitbudget mitbringt und dass man glaubt, sich den Videos zu wenig oder zu viel gewidmet zu haben. Daher legen Ausstellungen wie die venezianische Biennale den Gedanken nahe, radikaler zwischen Videofilmen, die man auch in einem kinoähnlichen Saal zeigen kann, und wirklichen Video-Installationen und –Skulpturen zu trennen.

Solche Vorbehalte entfallen, wenn man in eine Ausstellung kommt, die ausschließlich aus Videoarbeiten besteht. Zwar hat man auch dort seine Probleme mit dem Zeithaushalt, aber man ist nicht in der Gefahr, ein anderes Medium (ohne bewegte Bilder) zu benachteiligen. In der Ausstellung „Looking at you“, deren Titel sich auf den Schlüsselsatz in dem Kultfilm „Casablanca“ bezieht, stellt René Block in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum Videoarbeiten von 30 Künstlerinnen und Künstlern vor. Es handelt sich vorwiegend um jüngere Positionen, die im Zentrum um einige ältere Arbeiten ergänzt werden.

Bei der Auswahl der Arbeiten ging es Block um die Auseinandersetzung mit der Unterhaltung, die unsere Film- und Video-Wirklichkeit bestimmt: Hollywood-Klassiker, MTV-Video-Clips oder Seifenopern. Die Ausstellung lädt also dazu ein, zu überprüfen, wie die Künstler mit den vorgegebenen Unterhaltungsstrukturen umgehen. Die erste Bilanz klingt für die aktuelle Kunst ernüchternd: Video-Pioniere wie Nam June Paik, Terry Fox oder William Wegman haben in den 70er-Jahren im Grunde schon alle medienkritischen Ansätze durchgespielt, auf die die Künstler immer wieder zurückgreifen. Die überragende Pionierarbeit hat Paik geleistet, und so erhielt er zu Recht den zentralen Raum, in dem seine weltumspannende Arbeit „Good Morning, Mr. Orwell“, die 1984 simultan in New York, Paris, Köln und Seoul zu sehen war, erstmals als eine Installation für einen Ort arrangiert wurde. Lange bevor Globalisierung zum Schlagwort wurde, demonstrierte er die Möglichkeiten einer globalen Bildherrschaft. Einer der jungen Künstler, die den medienkritischen Ansatz der Pioniere auszuweiten verstehen, ist Christian Jankowski. In seiner Arbeit „Rosa“, die zuerst in der 2. Berlin Biennale zu sehen war, gelingt es ihm, auf der Grundlage eigener Videoarbeiten seine künstlerische Position in einen kommerziellen Spielfilm einzubringen („Victor Vogel – commercial man“), um dann mit seinen Mitteln die Filmhandlung zu sprengen und für Momente zur Realität hin zu öffnen.

William Wegmans Filme, in denen der Hund die schauspielerische Rolle des Menschen übernimmt (und umgekehrt der Mensch in der Rolle des Hundes zu sehen ist), wirken vordergründig amüsant. Sie karikieren allerdings in radikaler Weise das, womit wir uns normalerweise beschäftigen. Die Filme von scheinbaren Hundesdressurakten (aus den 70er-Jahren) entlarven unsere Alltagswelt und sind radikaler als manches, was Wegman später für den Kunstmarkt produzierte. Obwohl erst in den späten 80er-Jahren entstanden, ist in dieser Reihe auch Claus Böhmlers Videoband zu nennen, das ausschließlich zeigt, wie eine Schallplatte abgespielt wird. Gleich doppelt werden die Erwartungen enttäuscht: Man sieht nicht einen Film mit Aktion, sondern einen in Gang gesetzten Plattenspieler und man hört unterschiedliche Tondokumente.
Wenn es ein Qualitätsmerkmal für die künstlerischen Videos gibt, dann besteht das in dem Unterlaufen der filmischen Gesetzmäßigkeiten und Erwartungen, in der Kombination unterschiedlicher Wirklichkeitsebenen. Zu den faszinierendsten Arbeiten dieser Kategorie gehört Mark Wallingers „Treshold to the Kingdom“ (2000), eine Video-Projektion, die bereits im Britischen Pavillon in Venedig fesselte: Man sieht, wie Fluggäste im Zeitlupentempo durch die sich automatisch öffnende Tür des Ankunftsbereichs schreiten und zur feierlich-religösen Musik (Allegris „Miserere“), mit der die Sequenz unterlegt ist, abzuheben scheinen. Sie entschweben in eine andere Welt. Was bis zum 10. September einfach heiter-bissig wirkte, gewann auf einmal durch die Terrorakte in den USA eine politisch-visionäre Qualität von erschreckender Tiefe.

Die Zerstörung der Einhalt von Bild und Ton gehört zu den besten und effektvollsten Techniken der Videokünstler, um alte Sehgewohnheiten zu hinterfragen und das Medium selbst bewusst zu machen. Laila Pakalnina hat dazu einen schönen Beitrag geliefert. In ihrer Arbeit „Papa Gena“ präsentierte sie Passanten auf Straßen und Plätzen in Riga per Kopfhörer Musik aus Mozarts Zauberflöte. Die Betrachter der Videoaufnahmen wissen das aber nicht, solange die Menschen die Kopfhörer aufhaben und mit nach innen gerichteten Blicken auf die Musik reagieren. In dem Moment aber, in dem diese den Kopfhörer absetzen, hören die Zuschauer die Musik aus dem Lautsprecher. Es ist, als würde die Wirklichkeit der Menschen in Riga in die Ausstellung hineinschwappen.

Manchmal reicht es, wenn Künstler vorhandene Filmszenen so heraustrennen und neu zusammenfügen, dass eine neue Erzählhandlung entsteht. Christian Marclay ist mit seiner Montage „Telephones“ (1995) derartiges gelungen. Aus gängigen Spielfilmen schnitt er Szenen zusammen, in denen Telefonnummern gewählt werden, Telefone klingeln, Angerufene nicht wissen, ob sie abnehmen sollen, sie sich dann melden, sich schließlich verabschieden, auflegen und dem Gespräch noch nachsinnen. Es ist eine Sammlung kleinster Elemente, die beiläufig scheinenden Filmsschnipseln Bedeutung geben und die von Marclay nach faszinierenden dramatischen Gesichtspunkten aneinander gefügt wurden.

René Blocks Ausstellung unternimmt einen Streifzeug durch die vielfältigen Formen eines Mediums. Von Joan Jonas sieht man in einen kleinen Bühnenkonstruktion die in Zeitraffer abgespulten Bilder einer Performance, Ayse Erkmen lässt in einer DVD-Installation für fünf Monitore Landminen wie hübsches Spielzeug über die Bildschirme hüpfen, Asta Gröting serviert den alltäglichen Kampf um die Parklücke als fintenreiches Autoballett und die unaufwändige Arbeit „Children´s Tape“ von Terry Fox aus den 70er-Jahren entpuppt sich als ein Vorläufer zur „Kettenreaktion“ von Fischli/Weiss.

Einige Videoarbeiten reihen Szenen aneinander, die im Prinzip keinen Anfang und kein Ende haben. Andere erzählen fortlaufende Geschichten, die auf eine Pointe oder ein dramatisches Ende zulaufen. Zu ihnen gehört Ene-Liis Semper, deren „Video“ von 1998 bereits in Venedig große Beachtung fand. Man sieht eine Frau, die in einem Buch liest, dann aufsteht und sich erhängt. In dem Moment aber, in dem der Selbstmord vollzogen ist, endet nicht der Film, sondern wird die Geschichte erneut – im Rücklauf – erzählt, wird also der Selbstmord rückgängig gemacht. Die Frau setzt sich dann wieder zum Lesen hin, um sich zu erschießen. Und wieder läuft der Film, der zur Endlosschleife geworden ist, rückwärts. Ene-Liis Semper gelingt es auf diese Weise die Struktur des in einer Ausstellung permanent präsentierten Videos auf die von ihr erzählte Geschichte zu übertragen. Die anscheinend dramatische Handlung wird zur Farce und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Videotechnik selbst.

Die Ausstellung setzt auf unterhaltende Videoarbeiten. Es gibt viel Amüsantes zu sehen. Doch in den unterhaltenden Elementen stecken zahlreiche aufklärerische Ansätze. Die Besucher werden geschult, die Wahrnehmungen von Auge und Ohr stärker zu differenzieren. Eine gute Bestandsaufnahme, die zu weiteren reinen Video-Ausstellungen ermutigt.

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