Goethe wacht über die Moderne

Das Neue Museum Weimar mit der Sammlung Maenz

Ohne Goethe läuft nichts in Weimar. Überall, so scheint es, war er und alles Wesentliche hat er angeregt. Der große Klassiker gilt auch als geistiger Vater des Landesmuseums, mit dessen Bau allerdings erst 30 Jahre nach seinem Tod begonnen wurde. Und so sitzt er denn übermächtig als Monumentalplastik (von Carl Steinhäuser) in dem schloßartigen Treppenhaus. Dort aber hat er weder die Tradition noch die Klassik zu bewahren, sondern seit Ende vorigen Jahres die Kunst der Moderne. Er ist unmittelbar von ihr umfangen, denn Daniel Buren erhielt die Chance, für das Landesmuseum, das sich nun Neues Museum nennt, das Treppenhaus zu gestalten. Dies tat er auf perfekte Weise, ja, er schuf eine seiner besten Arbeiten überhaupt – eine Weiterentwicklung seines Biennale-Beitrages: In der linken Hälfte des Treppenhaus (vom Eingang gesehen) ließ er in regelmäßigen Abständen Streifen aus dem Putz schlagen und machte so die Zerstörungen des Hauses und seiner Sammlungen sichtbar, holte so aber auch gelbrote Backsteintöne aus dem Untergrund. Die andere Hälfte ließ er verspiegeln und verdoppelte auf diese Weise die ins Mauerwerk vorgenommen Einschnitte. Burens Arbeit prägt das Treppenhaus und greift dennoch nicht in die plastische Wandgestaltung mit den Rundbogen ein. Ein idealer Fall von Kunst am Bau.

Der von Josef Zitek entworfene und vor 130 Jahren eröffnete Zentralbau im Stil der Neorenaissance ist, nachdem die Ruine 50 Jahre lang vom totalen Verfall bedroht war, sehr sorgfältig restauriert worden. Auch im Innern wurde die schöne Klarheit der Räume wiederhergestellt, die nun einen angenehmen Umraum für die Werke der Moderne bilden. Selbst der Saal mit dem zehnteiligen Odysseezyklus von Friedrich Preller (Prellergalerie) wurde in alter Frische bewahrt, so daß über die Epochen hinweg ein Dialog zwischen den Kunst-am-Bau-Arbeiten entsteht.

Daß die Kunstsammlungen Weimar das im Krieg zerstörte und danach immer wieder vom Abriß bedrohte Landesmuseum in ihre Obhut übernehmen konnten, verdanken sie einerseits der großen Aufmerksamkeit, die Weimar als Kulturstadt Europas genießt, und zum anderen der Tatsache, daß der frühere Kölner Galerist Paul Maenz eine Bleibe für seine Kunstsammlung suchte. Maenz war ein Galerist, der sich lange Zeit der Minimal- und Concept-art verschrieben hatte. Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt und Joseph Kosuth gehörten zu seinen Künstlern. Hinzu kamen Vorlieben für die konzeptuelle italienische Kunst – wie Giovanni Anselmo, Giuseppe Penone, Salvo, Sandro Chia und Francesco Clemente. Für Aufsehen sorgte er dadurch, daß er sich um 1980 von der jungen neuen Malerei begeistern ließ und als erster die Künstler der Mülheimer Freiheit präsentierte. Danach wurde er insgesamt offener.

Diese Polarität der Richtungen und Stimmungen spiegelt sich in der Sammlung, die er den Kunstsammlungen Weimar überließ – ein Viertel als Geschenk, die Hälfte als Leihgabe (eventuell als Basis für eine Stiftung) und ein Viertel zum Ankauf. Maenz selbst ließ sich, je konkreter die Pläne und deren Umsetzung wurden, von der Idee, sich in Weimar zu engagieren, begeistern. So half er, die Sammlung bis in die Gegenwart zu komplettieren. Der Wert wird auf 20 Millionen Mark geschätzt. Nun soll aber das Neue Museum in Weimar kein Sammlermuseum sein. Die Maenz-Sammlung bildet zwar den Grundstock – Teile von ihr werden auch in diesem Jahr auf den zwei Museumsetagen präsentiert, doch das Haus will nicht in zu große Abhängigkeit geraten.

Am Fuß der Freitreppe, die zum Neuen Museum führt, wacht der „Große Geist“ von Thomas Schütte, eine monumentale spiegelnde Plastik, die ein wenig an die Arbeiten von Jeff Koons erinnert. Sie wirkt so, als wollte sie die bösen Geister aus dem Haus fernhalten, die sich früher in ihm eingenistet hatten. So hatten die Nationalsozialisten erst die Kunst der Moderne aus Weimar vertrieben und dann das Büro von Thüringens Gauleiter Fritz Sauckel im Landesmuseum eingerichtet. Und in der DDR-Zeit wurde der kriegsbeschädigte Bau nur deshalb nicht abgerissen, weil der Architekt ein Tscheche war, also aus einem verbündeten Land stammte.

Mit dem Neuen Museum versucht zum dritten Mal die Moderne in Weimar Fuß zu fassen. Zu Anfang des Jahrhunderts hatte Harry Graf Kessler eine anspruchsvolle Museumssammlung begonnen, mußte aber gehen, als Auguste Rodin einige als pornographisch empfundene Aktzeichnungen zum Geschenk gemacht hatte. 20 Jahre später wurden in Weimar durch das Bauhaus die Fundamente für ein neues Kunstempfinden gelegt, doch schon 1925 trugen die Rechtskonservativen dazu bei, daß die epochemachende Kunstschule nach Dessau auswich. Jahre darauf fielen in der Klassikerstadt die Werke der Moderne der nationalsozialistischen Hetzjagd zum Opfer.

Immerhin konnte Weimar vor einigen Jahren am Theaterplatz ein kleines Bauhaus-Museum eröffnen, das allerdings auf Grund des Bestandes mehr das Gesamtkonzept als einzelne herausragene kübstlerische Werke präsentieren kann. Für die Zeiten davor und danach gibt es empfindliche Lücken. Dafür kann das Neue Museum nun schwerpunktmäßig mit der Kunst seit den 60er Jahren auftrumpfen. Zu den stärksten Räumen gehören nach dem eingangs beschriebenen Treppenhaus mit Burens Wandarbeit die mit Werken von Anselm Kiefer , Giulio Paolini, Peter Roehr und Hans-Peter Feldmann. Diese Auflistung kennzeichnet auch schon, daß die Weimar übertragene Sammlung von Maenz sehr vielseitig und offen angelegt ist. Nicht oft sieht man in einem Museum auf derart konzentriertem Raum so unterschiedliche und dabei sich gegenseitig ergänzende Werke wie dort von Paolini. Auch wird in dem Kiefer gewidmeten Raum die malerische und gestalterische Kraft dieses Künstlers hervorragend spürbar. Zu einer Neuentdeckung wird die Begegnung mit Arbeiten von Hans-Peter Feldmann, die einen Bogen schlagen von den trivialen Fotoarbeiten der 70er Jahre zu den Skulptur-Parodien der 80er, die ihrerseits auch wie ein Reflex auf Paolinis Auseinandersetzung mit der Antike darstellen.

„Auffrischender Wind aus wechselnden Richtungen“ heißt die bis Ende des Jahres laufende Eröffnungsausstellung, die einen ersten Überblick über die neu errungenen Schätze geben soll. Es ist eine insgesamt qualitätvolle Schau, die wichtige Strömungen der letzten 30 Jahre vereinigt. Bedauerlich lediglich ist, daß es ausschließlich die importierte Moderne ist und daß nicht angedeutet wird, in welcher Weise die neu geschaffene Fakultät für Gestaltung neue künstlerische Wege zu gehen versucht.

Februar 1999

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