Robert Watts und Joe Jones
Museum Fridericianum, Kassel – 24. April – 18. Juli 1999
Für die Zeit zwischen der vorigen und der nächsten documenta hat Rene´ Block als Ausstellungsleiter im Kasseler Museum Fridericianum ein unglaublich konsequentes Vierjahresprogramm entwickelt. Mit ihm umkreist Block die aktuelle Kunstszene auf mehreren Ebenen. Seine zentralen Ausstellungen stellen Randfiguren und Randbereiche vor, die vom üblichen Ausstellungsbereich übergangen werden, die aber, wie sich immer wieder zeigt, Wesentliches zur aktuellen Kunstdiskussion beizutragen haben. Das gilt für die starke Auftaktausstellung „Echolot“, die neun Künstlerinnen auf der Grenzlinie zwischen Zentrum und Peripherie präsentierte, oder die Schau neuseeländischer Kunst, die vorführte, daß es auch außerhalb der Westkunst in den vergangenen 50 Jahren eigenständige Avantgardetraditionen gab. Nicht weniger wichtig ist das, was unter dem Titel „Musik im Fridericianum“ läuft. Diese Reihe hat mit dem klassischen Musikprogramm wenig zu tun. Vielmehr lenkt sie den Blick auf Künstler, die aus dem Überspringen der traditionellen Spartengrenzen ein eigenständiges Werk entwickelt haben. Die Ausstellung der Klangobjekte und -installationen von Joe Jones bildet dabei den bisherigen Höhepunkt. Eine dritte Ebene ist die, auf der Block Ausschau nach neuen Talenten und Haltungen hält, indem er unter dem Titel „Rundgang“ Studenten verschiedener Kunsthochschulen vorstellt. Diese experimentelle Reihe hat er zuletzt dadurch erweitert, daß in den drei Räumen des Zwehrenturms Studentenprojekte unter dem Titel „Change is good“ ein Jahr lang im schnellen Wechsel gezeigt werden; Kurator ist Tobias Berger.
Robert Watts (1923 – 1988) und Joe Jones (1934 – 1993) sind zwei Künstler, die entschieden zur Entwicklung der Fluxus-Bewegung beigetragen haben. So vielgestaltig und immer noch lebendig die Fluxus-Kunst ist, wäre die Ausstellung dennoch relativ spannungslos, würde sie sich lediglich als die Retrospektive auf Teile einer historischen Bewegung verstehen. Vor allem die Arbeiten von Watts, die mal als Pop-art, mal als Fluxus-Kunst vereinnahmt wurden, lassen Kategorisierungen dieser Art als unangebracht erscheinen. Watts war ein Künstler, der durch das Unterlaufen überlieferter künstlerischer Positionen Arbeiten entwickelte, die aus der Freude am Entgegensteuern entstanden waren, heute aber oftmals als bahnbrechende Pionierleistungen erscheinen. Und hierin liegt der reizvolle Widerspruch, den die Ausstellung herausarbeitet: Während der Künstler beiläufig argumentiert, Alltagsprodukte ad absurdum führt, geht er einen Weg, auf dem ihm viele folgen, ohne daß ihnen immer diese Abhängigkeit bewußt ist.
Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Etagen. Viele Arbeiten, insbesondere die farbigen Neonsignaturen, die Hommagen an die großen (vermarkteten) Gestalten der Kunstgeschichte enthalten, stehen im Dialog mit den Klangobjekten von Joe Jones. Aber erst, wenn man die beiden mit Neonröhren konturierten Stühle von Watts sieht, versteht man richtig, was er mit seinen Neonarbeiten meint. Ihm ging es nicht um eine elektronische Erweiterung der Malerei, sondern um die Auseinandersetzung mit den Leitfiguren und Fetischen, die er überhöhte, indem er ihnen eine leuchtende Aura verpaßte.
In spröden Naturkundemuseums-Vitrinen werden Watts´ zahllose Expeditionen in die Alltagswelt dokumentiert, die alle das Ziel hatten, dem Selbstverständlichen und Vertrauten eine neue Bedeutung zu geben. Es war, als hätte er mit viel Witz die Welt neu erfunden. Also konnte er mit seinen Briefmarken und Banknoten und vor allem mit seinen verchromten Alltagsobjekten (Zahnbürste) die Werteordnung auf den Kopf stellen und diejenigen, die zur selbstkritischen Befragung bereit sind, unterhalten. Sein Collage-Gemälde von 1958 (das schon wieder wie eine De´collage erscheint) wirkt heute noch ebenso revolutionär wie die Serie seiner Großfotos von vorbeifahrenden Autos oder wie der Badeanzug, auf den er das Bild eines nackten Frauenkörpers projiziert hat.
Die Ausstellung gewinnt dadurch, daß sie mit den Werken von Robert Watts frei umgeht und mit ihnen spielt. So wandert man aus einer dokumentarisch wirkenden Sammlungssituation in eine mit großer Geste inszenierte museale Präsentation, in der die verchromten afrikanischen Plastiken auf Stelen halbkreisförmig so gruppiert sind, als würde hier die neue Kunst zu erleben sein. Die Produkte der sogenannten primitiven Kultur werden wie die klassischen Skulpturen aufs Podest gehoben. Und während man sich an dieser erneuten Umkehrung der Relationen erfreut, überlegt man vielleicht, vor welchem Hintergrund die frühen, ganz ähnlichen Objekte von Jeff Koons entstanden sind.
Die Robert Watts gewidmete Werkschau ist eine weitere Ausstellung von Rene´Block, die dazu zwingt, gewohnte Bilder von Entwicklungslinien in der Kunst beiseite zu legen und die Gewichte neu zu verteilen. Robert Watts wird als ein überragender Erfinder vorgestellt, dem allerdings auf vielen Feldern allein die Idee genügte. Die Objekte und Installationen von Joe Jones bewegen sich dagegen in einem begrenzteren Rahmen. Dafür ist die Ausstellung so gut wie in allen ihren Teilen unterhaltend, erheiternd und zum Spiel einladend. Jones ist ein Musiker, der die Musikinstrumente zu Automaten degradiert, um ihnen dann durch die skulpturale Verwandlung eine neue Gestalt zu geben.
In der Gegenüberstellung der Werke von Jones und Watts sind zwei sehr schöne Konstellationen entstanden: In dem Raum, in dem zur Andacht zwingend die verchromten afrikanischen Plastiken von Watts stehen, ist eine Balalaika von Jones als eine zeitlose Skulptur plaziert; sehr schön sind auch die Miniaturflügel von Jones, die vor zwei Neonbildern von Watts stehen.
Jones spielte mit den Instrumenten und den Besuchern. Mal entwickelte er mechanische Klanginstallationen, die durch das Sonnenlicht in Gang gesetzt werden, dann wieder animiert er die Besucher, sich selbst als Dirigenten zu betätigen. Jones hatte dabei immer im Sinn, wie er die Dinge auf den Kopf stellen kann, um sie dann auf neue Weise zum Musizieren zu bringen. Er war ein Mensch, der die ganze Sinnenlust aktivieren wollte. Und so wird in seiner großen Klanginstallation sogar der Penis einer Puppe zum Klanginstrument.
Es ist nicht zu übersehen, daß die Werke von Watts und Jones Produkte der 60er Jahre sind, in denen noch einmal wie in der großen Dada-Zeit die normale Welt umgestülpt wurde, um der Kunst einen neuen, ebenso kritischen wie heiteren Dreh zu geben. Es handelt sich um Zeitkunst. Doch genau aus dieser Zeitgebundenheit wurden Strategien und Werke entwickelt, die uns heute noch den Atem nehmen. Dieser Fluxus-Geist lebt ungebrochen.