Zur Sprache der documenta-Kritik

Verrisse hat jede der vergangenen sechs documenten eingeheimst. Doch seit der Auseinandersetzung um die Kölner Schau „Bilderstreit“ von 1989 wurde um keine andere Ausstellung so heftig und leidenschaftlich gestritten wie um die von Catherine David verantwortete documenta X. Selbst zum Ausstellungsschluß wurde von vielen Kritikern noch einmal nachgelegt.

Es geht hier nicht um die Frage, wer richtig gelegen habe und wer falsch. Viel spannender ist zu zeigen, daß die erste Frau an der documenta-Spitze und deren Konzept derart emotionalisierten und polarisierten, daß es vielen Kritikerinnen und Kritikern zumindest passagenweise die normale Sprache verschlug. Es war, als könnte man der Französin David und ihrer Ausstellung nicht mit normalen Vokabeln beikommen. Diese Beobachtung trifft aber keineswegs nur auf die zu, die Catherine David ein Scheitern ihrer Ausstellung bescheinigten. Ihrer Verteidiger griffen zu ganz ähnlichen ungewöhnlichen Metaphern. Denn eins verband beide Seiten – der gemeinsame Befund des Außergewöhnlichen, des Radikalen – lediglich die Schlüsse, die daraus gezogen wurden, waren unterschiedlich.

Es hat sich eingebürgert, sich im Einleitungsteil einer Kritik wie der zur documenta mit der künstlerischen Leitung und deren Vorstellungen auseinanderzusetzen. Aber nie zuvor ging in einigen Texten die Auseinandersetzung so sehr ins Persönliche. Die Tatsache, daß hier erstmals eine Frau die künstlerische Leitung hatte und daß ihr Porträtbild in der Vorberichterstattung wie ein Logo gehandelt worden war, verführte zu Formulierungen, die zuweilen unter die Gürtellinie gingen:

„Catherine David hat einen ganz schmalen Kopf. Aber da ist unheimlich viel drin. Catherine David sieht aus wie eine zerbrechliche Fee. Aber sie hat den Charme eines tiefgekühlten Brecheisens. Catherine David hat einen schönen, meist dunkelrot geschminkten Mund, aber zum Lächeln geht sie vermutlich in den Keller. Ob sie wirklich so ist oder sich raffiniert als arrogant-unnahbare Hirndiva inszeniert, ist angesichts der grassierenden Selbstvermarktungstricks im Großkunstbetrieb schwer auszumachen.“ (Martin Jasper, Braunschweiger Zeitung)

Es war, als hätte vor der Schau die Macherin selbst beäugt und beurteilt werden müssen: „Viel ist über die Augen, das physiognomische Markenzeichen der diesmaligen, alleinigen Documenta-Verantwortlichen gerätselt worden. David gilt als heiß-kalt bis kratzbürstig, als Pariser Sphinx, der das Wort „merde“ leicht über die Lippen des Schneewittchen-Gesichtes kommt.“ (Roland Groß, Darmstädter Echo). Von der Sphinx ist in etlichen Kritiken die Rede. Das ist ja auch ein unverfängliches Bild, das sich auf Davids Weigerung bezieht, frühzeitig Konzept und Künstlernamen preis zu geben. Doch das Scheewittchen ist ganz auf die äußerliche Erscheinung gemünzt, und da sind keineswegs nur Männer, die sich zu frauenfeindlichen Formulierungen versteigen: „Sie sieht aus wie Schneewittchen – 20 Jahre nach der Sache mit den sieben Zwergen. Die schöne documenta-Chefin war gestern das Objekt der Begierede für Fotografen…“ (Birgit Kölgen, Westfälische Rundschau).

Die Art und Weise, wie Catherine David in der Öffentlichkeit auftrat, wie sie sich einerseits entzog, dann aber doch gezielt Interviews mit überraschenden Aussagen gab, und ihr Ausscheren aus dem Ausstellungsbetrieb trugen ihr zahlreiche Beinamen ein. Im Sonntagsblatt waren viele auf einmal zu finden: Madame Eigensinn, die Puristin, die Ehrgeizige, die Kluge, die Einsame, die Kühle, die Beharrliche, die Schwierige. Sehr viel bildkräftiger las es sich bei anderen. Mal wurden die Heilige und die Hure beschworen, dann wieder drängten sich Bilder von (nationalen) Retterinnen und Revolutionären auf. Kaum eine mythologische Frauengestalt, die nicht für die Charakterisierung von Catherine David herbeizitiert wurde.

Dorothee Müller, Süddeutsche Zeitung, hatte das Signal gegeben: „ Gelegentlich hat man bei Catherine David … den Eindruck, als sei eine Nonne im Bordell gelandet. Eine Nonne, die mit missionarischem Eifer aus dem Ort des Lasters einen der Tugend machen will. Das Bordell ist der Kunstbetrieb und eine Veranstaltung wie die documenta ist ein Teil des Betriebes.“ Das Bild der Tempelreinigung scheint auf. In ihrer zweiten Kritik verwies sie zwar noch in die religiöse Dimension, fand dann aber eine neue Bezugsebene: „..die documenta … ist über weite Strecken unsinnlich und ihre Macherin weniger eine Hohepriesterin, welche die Kunst auf einen Altar hebt, als eine Zuchtmeisterin, die uns strenge Exerzitien abverlangt.“

Catherine David, die einsame Kämpferin im Kunstbetrieb. Die Vorstellung prägte sich ein und führte natürlich zu dem französischen Heldinnenmythos: „Catherine David, in ihrer schimmernd intellektuellen Rüstung eine Jeanne d´Arc im Schlachtgetümmel des Kunstbetriebs…“ (Wolf Schön, Rheinischer Merkur). Auch Eduard Beaucamp sprach in einem Statement für die „Woche“ von einer Jeanne d´Arc, die „nach den vielen üppigen und populistischen Kunstfestivals, nach Orgien von Malerei, eine strenge Ideen-Diät verordnet“. Säuberung, Erziehung und Politik der verbrannten Erde: „Catherine David hat in Kassel keinen Sprengsatz gelegt, wohl aber einen Schwelbrand entfacht. Die Nachwirkungen der dX werden noch in Jahren zu spüren sein, gerade so, wie es Szeemanns legendäre documenta 5 gemacht hat.“ (Bernhard Schulz, Der Tagesspiegel)

Es war, als hätte die Akademie für Sprache und Dichtung zu einem Poetik-Wettbewerb um die griffigsten Metaphern eingeladen, so bildreich wurde Catherine David charakterisiert. Da sie Französin ist, wurden natürlich auch französische Geschichtsgötter herbeigerufen: „späte Enkelin von Denis Dderot“ (Rüdiger von Naso, Madame) und „ein weiblicher Robespierre“ (Peter Iden in einer Diskussion in Kassel). Petra Kipphoff hingegen nannte sie in dem gleichen Streitgespräch „eher eine Maria Magdalena oder eine Flagellantin“. Und Wolfgang Rainer (Stuttgarter Zeitung) sah sie als rätselhafte Pythia.

So farben- und erfindungsreich wurde lange nicht anläßlich einer Ausstellung geschrieben – und so auf die Person der Ausstellungsmacherin zugespitzt schon gar nicht. Bleibt nur als Trost, daß diese Entwicklung der „Süddeutschen Zeitung“ (p.b.) eine Glosse wert war: „Diese Domina von jenem Stern, wo kein Sonnenstrahl den Körper zur Sinnenlust verleitet, ist unter die internationale Kritikerzunft gefahren wie einst Aguirre, der Zorn Gottes, unter die verzagten Eroberer Lateinamerikas… Den Platzhirschen der Kunstszene erscheint sie allmählich als der leibhaftige Gottseibeiuns, und des Gedankens Blässe, die ihren Teint prägt, scheint denen recht zu geben, die unablässig dabei sind, im mainstream des Kunstbetriebs ihre Duftmarken zu setzen – was aus sprachlichen wie sachlichen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit ist.“ Womit deutlich gesagt ist, daß der Erfindungsreichtum der Kritikerzunft nicht unbedingt als Fortschritt zu verbuchen ist.

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