Der andere Blick

Kassel: 50 Jahre documenta

Die Kunsthalle Fridericianum zeigt eine Doppelausstellung zum Jubiläum der Kunstschau

Mehrfach schon gab es in Kassel die Idee, die Geschichte der documenta in einer Ausstellung zu reflektieren. Doch regelmäßig wurde der Gedanke schnell wieder verworfen, weil es finanziell und leihtechnisch unmöglich schien, nur annähernd die großen Namen und Werke zu versammeln, die zum Ruhm und zur Bedeutung der Ausstellung seit 1955 beitrugen.

Jetzt, zum 50. Geburtstag der Kasseler Kunstschau, unternimmt Michael Glasmeier im Geburts- und Stammhaus der documenta, im Fridericianum, dennoch den Versuch. Und er weiß schon heute, dass er für sein Konzept „viel Prügel beziehen“ wird – weil er einen völlig anderen Blick auf die documenta-Geschichte wagt. Der Schnelldurchgang durch 50 Jahre, bei dem man die Haupt- und Meisterwerke abhaken kann, ist sowieso nicht seine Sache. Deshalb macht Glasmeier nicht nur aus der Not eine Tugend. Vielmehr ist ihm daran gelegen, die Werke und Medien in Beziehung zu einander zu bringen, die am Rande mitliefen oder oft übersehen wurden. Auch will er im Sinne von Harald Szeemanns documenta 5 die Gleichzeitigkeit der Richtungen, Stile und Medien vorführen. Fotografie und Video, Künstlerbücher und Hörbeispiele werden deshalb eine größere Rolle spielen als in den einzelnen documenta-Folgen wahrgenommen wurde.

Deshalb wird der Ausstellungsteil, der unter dem Titel „Diskrete Energien“ läuft, auch nicht chronologisch geordnet. Glasmeier hat eine eigene, querlaufende Ausstellungsstruktur gewählt, die nicht erst die Frage nach Lücken und Leerstellen aufkommen lassen will. Das ist ein Balanceakt. Immerhin kann er mit kompletten Künstlerräumen überraschen. So gelangen die Besucher zum Auftakt in ein imaginäres documenta-Museum, nämlich in das Wachsfigurenkabinett, das Guillaume Bijl zur documenta 9 (1992) geschaffen hatte. Dank dieser Arbeit, in der Arnold Bode und seine Frau eine zentrale Rolle einnehmen, kann Glasmeier gleich am Anfang den documenta-Vater ehren. Andere Fixpunkte der Schau sind der Beuys-Raum von 1972 (Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung), Ulrike Grossarths Installation für die documenta X (1997), die Video-Arbeit von Eija-Liisa Ahtila aus der Documenta 11 (2002) und Lehmbrucks „Kniende“, die zu einem Symbol für die erste documenta wurde. Insgesamt werden Arbeiten von über 80 Künstlern gezeigt.

Der andere Teil der Ausstellung („archive in motion“) hat stärker dokumentarischen Charakter: In elf (Wunder-)Kammern sollen die elf documenta-Ausstellungen mit Hilfe von Materialien aus dem documenta Archiv vorgestellt werden. Da Glasmeier aber eine rein archivalische Schau nicht für reizvoll hält, übernahm er ein Prinzip, das im Fridericianum schon einmal vor vier Jahren angewandt worden war, als in einer Ausstellung die Sonderrolle der documenta 5 gespiegelt worden war: Glasmeier lud elf jüngere Künstler, die sich schon einmal mit Ausstellungen auseinander gesetzt hatten, mit einer eigenen Arbeit jeweils eine documenta zu kommentieren. Dieser Ausstellungsteil soll später vom ifa über Brüssel über Osteuropa nach Asien auf Tournee geschickt werden.

Termin: 1. September – 20. November, Katalog: Steidl Verlag, ca. 650 seiten, 40 Euro. Internet: www.fridericianum-kassel.de

13. 7. 2005

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