Blick in die Dose

Am Anfang stand ein Streit: Jan Hoet hatte nach seiner Berufung zum documenta-Leiter angekündigt, er wolle die ganze Neue Galerie leer räumen lassen. Dr. Marianne Heinz, die Leiterin der Neuen Galerie protestierte: Ihr Museum mit der zeitgenössischen Sammlung müsse während der documenta präsent bleiben. Die Kontrahenten besprachen sich, und aus dem Streit entstand der Plan für einen der faszinierendsten Teile der documenta 9: 18 Künstler wurden eingeladen, in der Auseinandersetzung mit dem Museum ihre Arbeiten zu entwickeln.

Wie bekannt, provozierte die Umsetzung dieses Planes wiederum Streit. Eberhard Fiebig fühlte seine Stahlplastik zu einer „Ressource“ herabgewürdigt, weil Joseph Kosuth sie in seine Passagen-Verhüllung einbezogen hatte. Gleichwohl wurde von vielen verstanden, was Hoet mit der Neuen Galerie als „magischer Dose“ gemeint hatte: Wie der Zauberer seine Schwerter in die Kiste steckt, um danach die darin verborgene Frau in größerer Schönheit heraus steigen zu lassen, so werde auch das Museum von den Künstlern verhüllt und kommentiert, um ihm zu neuer Bedeutung zu verhelfen.

„Die magische Dose“ heißt auch das Buch, das Marianne Heinz zu der zeitweisen Verwandlung ihres Hauses herausgegeben hat (Edition Cantz, Stuttgart, 64 5., 18 Mark). Das Buch dokumentiert nicht nur die Versöhnung zwischen Neuer Galerie und documenta, sondern es läßt auch die Leser teilhaben am Diskussions- und Arbeitsprozeß dieses außerordentlichen Vorhabens. Marianne Heinz und Toos Arends haben erfrischende Werkstattberichte geschrieben und die Fotografen Dieter Schwerdtle und Dirk Bleicker haben die Veränderung des Museums treffend festgehalten. Ohne Künstler wie Duchamp oder Broodthaers wäre eine solche Verwandlung nicht möglich gewesen. Daher rundet ein Text von Thomas Ketelsen über den Broodthaers-Raum das Buch ab.

HNA 5. 9. 1992

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