Enthüllte Skulptur ins Depot verbannt

Streit um Joseph Kosuths documenta-Beitrag in der Neuen Galerie: Erst enthüllte Eberhard Fiebig
seine von Kosuth verborgene Skulptur, dann verschwand sie im Depot.

Der Konflikt war vorauszusehen. Jetzt wurde er von dem Kasseler Künstler und Kunstprofessor Eberhard Fiebig öffentlich ausgetragen: Mit Berufung auf das Urheberrecht entfernte er im ersten Stock der Neuen Galerie von seiner dort aufgestellten Stahlskulptur „Smalte“ das von dem amerikanischen Künstler Joseph Kosuth darüber gehängte weiße Tuch. Auf dem Tuch steht das Wittgenstein-Zitat „Worte sind Taten“.

In einer Erklärung verkündete Fiebig, er dulde nicht, daß seine Skulptur Bestandteil eines anderen Werkes werde; sie ordne sich nicht „unduldsamer Wortkrämerei“ unter. Für den Fall, daß die Arbeit wieder verhängt werde, kündigte er gerichtliche Schritte an.

Nach der Enthüllungs-Aktion Fiebigs verständigten sich Museumsleiterin Dr. Marianne
Heinz und documenta-Leiter Jan Hoet darauf, die Fiebig-Skulptur für die restliche documenta-Zeit (bis 20. September) ins Depot zu schaffen. Bereits kurz darauf war das geschehen. Während Fiebig die Meinung vertritt, das Museum könne seine Arbeit nicht anderen Künstlern zur Verfügung stellen, vertritt Hoet die Ansicht, die Skulptur sei nicht mehr Eigentum des Künstlers, sie könne also, wenn der Bildhauer mit Kosuths Arbeit nicht einverstanden sei, entfernt werden. Im Sinne Hoets wäre es nicht vorstellbar, Fiebigs Arbeit als einzige unverhüllt in dem Kosuth-Raum zu lassen.

Die documenta-Künstler, die in der Neuen Galerie ihre Arbeiten realisiert haben, setzen sich direkt mit dem Museum und seiner Präsentationsweise auseinander. Joseph Kost hat die beiden Gänge an der Aueseite in Passagen verwandelt: Im Erdgeschoß verhängte er sämtliche Gemälde und Skulpturen mit schwarzen Tüchern, im ersten Stock mit weißen Tüchern. Es sind nur noch die Umrisse der verborgen Werke zu erkennen und die Schilder mit den Künstlernamen und Werktiteln. Auf allen Tüchern und Wänden sind Texte aus Literatur, Philosophie und Politik zu lesen. Kosuths documenta-Beitrag hat so viel Beifall gefunden, daß überlegt wird, in welcher Weise er Dauer in der Neuen Galerie einen Raum gestalten kann.

Auf die Frage, warum er erst jetzt gegen die Verhüllung seiner Skulptur protestiere, meinte Fiebig, er sei erst jetzt in die documenta gekommen. Vorher habe er – auch aufgrund der vernichtenden Kritik von Peter Iden und anderen – es nicht für nötig befunden, in diese Kunstschau zu gehen.

HNA 27. 8. 1992

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