Wie der Schwan zur Ente wurde

Ist der schwarze Schwan im Logo der documenta 9 in Wirklichkeit ein häßliches Entlein? Oder strahlte das documenta-Signet nach Dänemark aus? Spekulationen um die Urheberschaft.

Das Europäische Parlament hat vielleicht noch keine Geschichte gemacht, es ist aber gut für Geschichten. Eine erreichte uns jetzt aus dem Brüsseler Büro des nordhessischen SPD-Abgeordneten Karl-Heinz Mihr. In ihr werden die documenta-Stadt Kassel und das dänische Odense in eine überraschende Nachbarschaft gebracht.

Auf einer Fahrt mit der Autofähre von einer dänischen Insel zur anderen glaubte der Stadtverordnete Rasmus Pedersen aus Odense seinen Augen nicht zu trauen, als er an einem deutschen Auto aus Kassel einen Aufkleber mit einem Logo entdeckte, das fast identisch mit dem Wappen seiner Heimatstadt war: Während auf dem Odenser Wappen eine kleine schwarze Ente auf einem nach unten gekehrten weißen Schwan sitzt, zeigt das documenta-Logo einen bewegten schwarzen Schwan auf einem ebenfalls kopfstehenden weißen Schwan.

Die Sache ließ ihn nicht ruhen. Doch weder die deutsche Tourismus-Zentrale noch die Stadt Kassel hätten dem Mann weiterhelfen können. Aus Kassel gar, so heißt es in der Brüsseler Geschichte, sei die Erklärung gekommen, bei dem Aufkleber an dem Auto habe es sich ja auch um ein ganz privates Logo handeln können.

Damit gab sich Pedersen aber nicht zufrieden. Er schaltete seinen Europa-Abgeordneten John Iversen ein, der wiederum über Assistenten Kontakt zum Büro von Mihr knüpfte, das seinerseits für Aufklärung sorgte: Das, was Pedersen an dem deutschen Auto entdeckt habe, sei das Logo der Kasseler documenta 1992 gewesen. Hatte der Gestalter des documenta-Signets also zuvor seine Sommerferien in Odense verbracht?

Soweit die Geschichte. Sie zwingt die Frage auf, wer sich hier von wem inspirieren ließ. Für Rasmus Pedersen aus Odense war eindeutig das von dem dänischen Künstler Per Arnoldi entworfene Logo zuerst da. Arnoldi wollte damit daran erinnern, daß Odense die Geburtsstadt des Märchendichters Hans Christian Andersen ist, zu dessen bekanntesten Märchen „Das häßliche Entlein“ gehört: Das kleine schwarze Entlein schwimmt oben, trägt unter sich aber schon das Spiegelbild seiner künftigen Schönheit.

Allerdings war gestern auf Nachfrage beim Fremdenverkehrsamt in Odense nicht zu erfahren, wann Arnoldi dieses Logo entworfen hat. Die Stadt, so hieß es, verwende seit Januar dieses Jahres das Logo auf Plakaten; zum Stadtwappen sei es jedoch nicht erhoben. Der Künstler seinerseits war nicht erreichbar.

Das documenta-Logo mit den beiden Schwänen war erstmals im Frühjahr 1990 der Öffentlichkeit präsentiert worden. Die Idee, so damals Jan Hoet, sei entstanden, als während der Beratungen über das docurnenta-Logo ein Schwan mit langgestreckten Hals und schlagenden Flügeln auf der Fulda gelandet sei.

HNA 3. 7. 1993

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